Giftpilz
ihn vom Schlafen abhielt: Wenn ihm schon das
Abhörgerät für den Polizeifunk nicht mehr zur Verfügung stand, so wollte er
sich doch Thomsen an die Fersen heften. Denn wo der war, waren auch die Verbrechen
und damit die guten Storys. Er musste sich noch überlegen, wie er das tagsüber
am besten hinbekam. Schließlich hatte er auch innerhalb der Redaktion die eine
oder andere Verpflichtung wie das Gestalten der Umlandseiten. Aber wenn Thomsen
abends aus seiner Wohnung zu einem Verbrechen gerufen wurde, würde er in Riesle
einen aufmerksamen Verfolger haben.
Nachdem er die Reste des indischen Gerichts vom Lieferservice
beiseitegelegt hatte, dachte er über verschiedene Optionen nach: Er könnte vor
der Tür seines Nachbarn eine Art Alarmsystem installieren. Zum Beispiel eine
Schnur spannen, die bei Berührung einen Signalton in Riesles Schlafzimmer
auslöste. Oder er könnte allabendlich mit einem Stift einen Flecken an der
Wohnungstür des neuen Nachbarn anbringen. Der phobische Kommissar würde
bestimmt erst ausgiebig putzen müssen, ehe er auch nur einen weiteren Schritt
nach draußen machte. Auch hier müsste man mit einem versteckten Alarmsender
weiterkommen. Technisch war Riesle einigermaßen findig.
Den Fernseher weiter so laut laufen zu lassen war eine Option, die
immerhin der Anwesenheitskontrolle diente. Zweimal hatte sich Thomsen in dieser
Nacht schon beschwert, ein Einwegtaschentuch jeweils zwischen seinen sensiblen
Zeigefinger und Riesles Klingelknopf geklemmt.
Alles in allem – und das war ein grundlegender Unterschied zwischen
den beiden Nachbarn – war Riesle ganz zufrieden damit, dass der Kommissar neben
ihm eingezogen war. Vielleicht sollte er seine gegenüber Frau Gartmann
geäußerten Umzugsabsichten doch noch revidieren?
In der Nachmittagskonferenz am folgenden Tag bekam Riesle wieder
einen deutlichen Hinweis des Redaktionsleiters, dass die Konkurrenz »nicht
zuletzt im Crime-Bereich« deutlich aufgeholt habe. Der Kurier hingegen habe
diesbezüglich reichlich nachgelassen. Das war ein Frontalangriff auf Klaus
gewesen, den dieser mit der Ausrede des fehlenden Polizeifunkgeräts kaum hatte
parieren können. Es musste endlich etwas geschehen. Thomsens Überwachung
duldete keinen Aufschub.
Für Riesle hatte das abendliche Aufräumen seiner Einzimmerwohnung
etwas Meditatives. Er trug in mehreren Durchgängen etwa fünfzig leere Flaschen
zum Altglascontainer und hing so seinen Gedanken nach. Es sprach manches dafür,
der Schnurvariante zur Beobachtung Thomsens den Vorzug zu geben.
Mit den Farben der Flaschen nahm er es beim Einwerfen nicht so
genau. Stattdessen beschloss er, gleich anschließend seinen Freund Hubertus zu
besuchen, der ihn am Vormittag angerufen und interessante Andeutungen gemacht
hatte, über die er nachher mit ihm sprechen wollte.
»Die Braunen in den braunen Container – die Grünen in den grünen.
Ist das denn so schwer?«, beschwerte sich jemand schräg hinter ihm. Er drehte
sich um – Thomsen! Dem war so etwas natürlich ein Dorn im Auge.
Der Kommissar ging kopfschüttelnd zu seinem Auto, einem wie neu
aussehenden Kleinwagen japanischer Bauart. »Außerdem ist das nur bis zwanzig
Uhr erlaubt. Wir haben jetzt zwanzig Uhr sieben«, belehrte er ihn noch mit sauertöpfischer
Miene.
Riesle zögerte nur kurz. Wenn er Thomsens Freizeitgewohnheiten
richtig einschätzte, dann würde der nie und nimmer zu einem abendlichen
Amüsement das Haus verlassen. Das musste ein Einsatz sein, zumal es der Kommissar
sehr eilig hatte. Selbst wenn die Möglichkeit bestand, dass dieser nur
möglichst schnell von Riesle und dem stinkenden Flaschencontainer wegwollte, so
musste das weitere Aufräumen ebenso warten wie die Anfertigung der Alarmschnur
und der Besuch bei Hubertus. Schnell hinterher!
Gut, dass sein alter Kadett nur ein paar Meter entfernt stand.
Zunächst lief alles nach Plan. Riesle hatte Thomsens Wagen
fest im Blick und achtete bei der Verfolgung darauf, nicht zu dicht
aufzufahren. Bei Mönchweiler verließ er die Bundesstraße und fuhr durch den
Ort.
Der Kommissar gab für seine Verhältnisse ordentlich Gas. Das deutete
ziemlich sicher darauf hin, dass es sich um einen Einsatz handelte. Aber
natürlich blieb Riesle als alter Hobbyrennfahrer dran.
Der Wagen hinter ihm war allerdings nicht weniger schnell. Er
überholte sogar ihn und Thomsen und unterbrach so die Verfolgungsjagd. Die rot
leuchtende Aufschrift »Bitte folgen!« war unmissverständlich. Polizei! Thomsen
und
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