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Giftpilz

Giftpilz

Titel: Giftpilz
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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rief er schnell. »Alles gut. Alles wach.«
    »Geht besser?«
    »Ja. Geht gut.«
    Das genügte Svetlana. Sie ging zum nächsten Patienten, um ihr
unbarmherziges Weckwerk fortzusetzen.
    Eigentlich ging es ihm überhaupt nicht gut. Zwar hatten ihn die
Paspertintropfen gegen Übelkeit, die sie ihm verabreicht hatten, vor weiteren Zwischenfällen
bewahrt, aber Magen und Darm fühlten sich vollständig leer und ausgemergelt an.
Die Zunge klebte am Gaumen. Durst!
    Allerdings war er nicht mutig genug, gleich wieder etwas zu sich zu
nehmen. Auch die Frühstücksverlockung hielt sich erst mal in Grenzen. Ihm war
nicht nach Essen – weder nach Graubrot noch nach Karotte.
    Zunächst hatte Hummel die Heißhungerattacke für seine schlimme Nacht
verantwortlich gemacht. Doch in Anbetracht der vielen Krankheitsfälle musste
wohl wirklich ein Magen-Darm-Virus umgehen.
    Er warf einen Blick auf den Plan. Der Tag begann mit der
Gruppentherapie.
    Bloß nicht, dachte sich Hummel und mummelte sich ins Bett ein.
Zunächst, um nachzudenken, doch schon fünf Sekunden später, um den verlorenen
Schlaf nachzuholen.
    Um zehn nach acht wachte er wieder auf und fühlte sich zumindest
ausgeschlafener.
    Er riskierte nun sogar einen kräftigen Schluck aus der Mineralwasserflasche,
zog seinen Trainingsanzug an, putzte die Zähne, blickte aus dem Fenster, genoss
mit halb zugekniffenen Augen das Schwarzwaldpanorama und beschloss dann,
vorsichtig nach unten zu gehen.
    Um halb neun war eine Zwischenuntersuchung beim Chefarzt anberaumt.
Konnte nicht schaden, dort vorbeizuschauen. Vielleicht wusste der ja, was ihm
fehlte.
    Ohnehin ungewöhnlich, dass Svetlana oder eine ihrer Kolleginnen
nicht noch einmal nach ihm geschaut hatte. Schließlich hatte er bereits den
ersten Termin des Tages verpasst.

10. CHEFARZTBEHANDLUNG
    Privatassistent Dr. Hilbert befand sich in einer Art
Dauerkonferenz mit seinem Chef. Seitdem dieser morgens in der Klinik
eingetroffen war, herrschte ziemliche Aufregung wegen des Toten.
    Professor Krieg hätte die Leiche am liebsten selbst untersucht, doch
die war schon Richtung Gerichtsmedizin unterwegs. Hilbert, der seinem Chef in
schon fast devoter Weise ergeben war, schien deshalb etwas frustriert, denn
eigentlich hatte er auf ein Lob für sein entschlossenes Handeln spekuliert.
Schließlich hatte er dem »Herrnprofessor« auf diese Weise einige Arbeit
erspart.
    Hummel hörte nur Bruchstücke des Gesprächs, während er matt auf dem
Wartestühlchen saß und eigentlich nur darauf wartete, dass er als Nächster das
Zeitliche segnen würde.
    »Vergiftung« war das Wort, das die beiden Ärzte auf der anderen
Seite der Tür am zweithäufigsten benutzten. Das häufigste war »Herrprofessor« –
in einem Wort gesprochen. Hilbert garnierte jeden Satz damit. »Natürlich,
Herrprofessor«, habe er dafür gesorgt, dass sich die Kunde vom Exitus nicht im
gesamten Haus verbreite. »Leider, Herrprofessor«, müsse er hier eine
Einschränkung in Bezug auf den Patienten Hummel machen, der im Übrigen draußen
warte. »Gerne, Herrprofessor«, werde er sich darum kümmern, dass das Ergebnis
der Obduktion möglichst schnell dem »Herrnprofessor« zur Kenntnis gebracht werde.
    Der Chefarzt, dem Hubertus nun erstmals begegnete, war eine elegante
Erscheinung. Er schaltete sich erst ein, nachdem Hilbert den Patienten
ausgiebig untersucht hatte. Professor Krieg war durchaus charismatisch. Unter
dem Arztkittel trug er einen Anzug mit grauer Seidenkrawatte. Der Farbton
seiner grauen Schläfen korrespondierte perfekt mit dem des Binders. Fast
schämte sich Hummel, dass er hier in einem profanen Trainingsanzug angeschlurft
kam. Zumindest ein Jackett hätte sich angeboten.
    Professor Krieg hatte einen Schnauzbart, eine Brille und eine sonore
Stimme. Dass er standesbewusst war, merkte Hummel nicht zuletzt daran, wie er
mit der Krankenschwester umging, die es wagte, ihn kurz zu stören. Nicht
herrisch, nicht unhöflich, aber schon so, dass keine Zweifel aufkommen konnten,
wer hier Chef war und wer in der Hierarchie weiter unten stand.
    Hummel wurde distanziert, aber durchaus freundlich behandelt.
    Symptome Durchfall, Schwindel, Bauchschmerz, Koliken?
    Es sei leider nicht auszuschließen, dass sich ein Virus in die
Tannenklinik eingeschlichen oder man es mit einer Vergiftung zu tun habe,
klärte ihn Professor Krieg auf. Aber es bestehe keinerlei akute Gefahr.
    Na ja, besagte Hubertus’ Blick, der bei aller Ehrfurcht so skeptisch
war, dass es selbst Krieg merkte.
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