Giftpilz
aufhält.«
»Riesle? Chef, woher soll ich des wisse?«
Thomsen kannte Winterhalter so gut, dass seine Gesichtszüge ehrliche
Ahnungslosigkeit verrieten.
»Da steht doch sein Auto auf Ihrem Hof?«
»I hab kei Ahnung, was der hier will. Vielleicht isch er bei meiner
Frau?«
»Bei Ihrer Frau? Und Sie wissen davon nichts? Vielleicht sollten Sie
mal besser aufpassen, was Ihre Gattin so während Ihrer Dienstzeit treibt. Am
Ende hat sie was mit diesem Riesle? Oder sie macht mit ihm gemeinsame Sache. Er
ist nämlich ein Dieb.«
Winterhalters rote Bäckchen traten hervor und bildeten rundliche
Kegel. Sie waren eine interessante Ergänzung zu der von der Höhensonne
gegerbten Haut. Jetzt grinste er breit.
»Riesle und mei Frau? Und beide Diebe? Chef, bleibet Sie ruhig. Sie
scheinet mir jetz echt e weng verwirrt. Jetz gucke mer eifach mol, wo die sin.«
Nicht im Haus, wie sie kurz darauf feststellten. Auch nicht im
Stall.
»Ha, die isch sicher wieder in de Pilz’«, sagte dann Winterhalter
und ging voraus in das Wäldchen hinter dem Haus. »Chef, worauf wartet Sie denn
no?«
Thomsen kramte im Kofferraum seines Autos, holte wieder einmal weiße
Plastiktütchen – seine Allzweckwaffen – hervor und zog sie sich über die
Schuhe. Dann betrat er ganz vorsichtig den moosigen Boden in Richtung
Fichtenwald, als könne er darin metertief einsinken. Trotz des Plastiküberzugs
hatte er das Gefühl, durch eine Kloake zu waten …
19. IN DEN PILZEN
Klaus Riesle tastete sich ganz vorsichtig ans Thema heran
und ließ sich von Frau Winterhalter erst mal die Schönheit von Schwarzwaldfauna
und -flora erklären.
»Des isch eines vu de letzte kaum zerschnittene Waldgebiete
Deutschlands«, sagte die kernige Frau in Kniebundhosen, rot-weiß kariertem Hemd
und blauem Kopftuch, die offenbar den Kleidungsgeschmack ihres Mannes teilte.
Und vielleicht sogar die Kleidung selbst. Eine ähnliche Größe konnte die
robuste Frau durchaus haben.
Riesle hatte Mühe, mit ihrem Tempo Schritt zu halten.
»Ha, Sie hän halt’s falsche Schuhwerk«, sagte die Bäuerin immer
wieder. Während sie in klobigen Wanderstiefeln durchs Moos stapfte, trug Riesle
zwar weiße Sportsocken, dazu aber rutschige schwarze Slipper. Auch modisch ein
interessanter Kontrast zum eher rustikalen Äußeren von Frau Winterhalter.
Die war bei ihrem Vortrag mittlerweile bei den wertvollen
Lebensräumen der Moorwälder angelangt.
»Mich … interessieren eigentlich … mehr die Pilze«, versuchte Riesle
dem Gespräch nun eine bestimmte Richtung zu geben. Er musste zwischen den
Wörtern kräftig durchschnaufen.
Sein Freund Hubertus schwärmte ihm seit Jahren von einer
Schwarzwalddurchwanderung vor. Riesle reizte das Projekt nicht besonders. Noch
weniger wollte er diese aber unvorbereitet und noch dazu am heutigen Tage mit
Frau Winterhalter angehen.
»Herr Riesle, für d’Pilzsuch brauch mer Ausdauer und Geduld«,
belehrte ihn die Bäuerin. »Wenn Sie e g’scheite Reportage mache wollet, dann
müsset mir au e paar Prachtexemplar finde. Und i weiß, wo’s welche gibt. Sie
wollet sicher au e paar Fotos schieße, nit wohr?« Riesle nickte stumm, was Frau
Winterhalter, die einige Schritte vor ihm lief, nicht sehen konnte.
Endlich – nach einem gefühlten halben Tag – stoppte die Expertin und
zeigte Riesle ein paar Pilze. » Amanita muscaria – des
isch de Fliegepilz.« In ihrem Mund bildeten die lateinischen Ausdrücke einen
lustigen Kontrast zum Dialekt.
»Ist ja spannend. Und vor allem, wie man die giftigen von den
essbaren Pilzen unterscheiden kann«, heuchelte der Journalist Interesse. »Das
will der geneigte Leser wissen. Und ist sicher eine tolle Werbung für Ihre
Pilzveranstaltungen.«
Frau Winterhalter lächelte verschmitzt. Sie hatte längst begriffen,
dass Riesle eigentlich gar nicht primär gekommen war, um eine Reportage über
sie zu machen. Den Artikel über die »Pilzsuppe des Todes« hatte sie selbstverständlich
gelesen und war auch von ihrem Mann in groben Zügen über die Vorgänge in der
Tannenklinik auf dem Laufenden gehalten worden. Sie spielte aber trotzdem
weiter mit.
»Und welche Gifte findet man in diesen Pilzen?«
»Des sin Amatoxine. Die findet mer zum Beispiel au im
Knolleblätterpilz.«
»Könnte es Ihnen als ausgewiesener Pilzexpertin passieren, dass Sie
einen Speisepilz mit dem Knollenblätterpilz verwechseln?«, fragte Riesle und
war felsenfest davon überzeugt, dass Frau Winterhalter noch nichts von seinen
wahren Absichten
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