Giftpilz
vielleicht schon andere
erpresst hatte? Auch unter den derzeitigen Patienten hatten einige offenbar ein
Techtelmechtel miteinander. Er schaute sich um. Die Trainingsanzüge wirkten wie
ein Erkennungszeichen: Ach, Sie sind auch Patient in Königsfeld? Fehlten nur
noch unterschiedliche Farben für die verschiedenen Leiden.
Dort drüben zum Beispiel. Die beiden berührten sich mehr oder
weniger zufällig immer wieder. Mit der Frau, einer etwas korpulenten
Endvierzigerin mit rötlich-braunem Haar, war er in der Aqua-Jogging-Gruppe. Den
dazugehörenden – oder eben eigentlich nicht dazugehörenden – Mann hatte er
einmal beim Square Dance gesehen. Square Dance … Natürlich war er da nie wieder
hingegangen.
Hummel setzte sich zu den beiden. Auch sie wussten über die
Vergiftungen in der Tannenklinik Bescheid. Zeitungsmeldungen verbreiteten sich
nun mal schnell. Deshalb herrschte ja hier ein solcher Andrang. Wobei das
Kurpärchen offenbar schon öfters hier gewesen war. Sie empfahlen ihm Lahmacun
und die herrlich klebrigen Süßspeisen. »Da kriegt man die volle Tagesration an
Kalorien in fünf Minuten«, meinte die Frau in ihrem auberginefarbigen
Stofftrainingsanzug lachend. Er war eher der schweigsame Typ. Auch ein paar
Kilo zu viel, dafür ein paar Haare weniger – ein absolutes Durchschnittsgesicht.
Hubertus entging nicht, dass sich bei genauerer Betrachtung an den
Ringfingern der beiden das runde Muster eines Eherings abzeichnete. Wie lange
hatten sie diese wohl schon nicht mehr getragen? Ein paar Tage vermutlich.
Was bringt Menschen dazu, sich während einer Kur ineinander zu
verlieben? Eine Affäre zu beginnen? Um eine solche handelte es sich, da war
Hubertus sicher. War es Langeweile oder Frust in der eigenen Ehe? Die Absicht,
ein neues Leben beginnen zu wollen, die nach Kurende dann doch wieder verpuffte,
wenn man in den Alltagstrott zurückfiel? Oder das gesteigerte Selbstwertgefühl,
das einem ein solcher Kurschatten beschied?
Das Pärchen schien sich mindestens fünfundzwanzig Jahre jünger zu
fühlen, als es war. Ihr Trainingsanzug stellte ihre Pölsterchen so
unvorteilhaft heraus, dass selbst Hummel erstmals seit längerer Zeit nicht mehr
den Bauch einzog. Und der Mann dazu? Wie konnte man sich in so eine Bratwurst
verlieben?
Hubertus nutzte die Gelegenheit, um mit den beiden über
Narben-Dietrich zu sprechen, über die Kur als solche, die beide – natürlich
verschwörerisch grinsend – als »total toll und erholsam« bezeichneten, um dann
albern zu kichern.
In ihr Gegacker hinein sagte er mit seiner kompletten Lehrerstrenge:
»Wisst ihr eigentlich, dass hier schon mehrfach Pärchen erpresst wurden, die
einen Kurschatten hatten?«
Davon wussten sie nichts, aber immerhin hörte das alberne Gekicher
sofort auf.
»Erpressung«, wiederholte Hubertus. »Nie was davon mitbekommen?«
Die beiden wirkten ernsthaft besorgt.
»Hier bist du also!«, hörte Hummel nun eine Stimme hinter sich.
Elke!
Sie umarmte ihn, berichtete, sie habe am Morgen den Artikel von
Klaus gelesen und sei deshalb gleich nach der Schule losgefahren, um nach ihm
zu sehen.
»Bist du auch vergiftet worden?«
»Zum Glück nicht. Ich hatte zwar ähnliche Probleme wie die anderen,
aber es war offenbar nur eine Magenverstimmung. Es geht mir auch schon wieder
viel besser«, meinte Hubertus und zeigte auf den letzten Teil des Kebabs.
Nun kam, was kommen musste. Elke freute sich zwar, dass es ihm
besser ging, doch dann ermahnte sie ihn: »Eigentlich finde ich das aber nicht
gut, Huby! Wenn man in Kur ist, muss man sich großer Disziplin unterwerfen.
Schließlich bist du auf Diät, da kannst du dir keinen Kebab leisten. Oder bist
du hier, weil die Küche der Tannenklinik wegen der Vergiftung geschlossen ist?«
Hubertus schaffte gerade, mit dem Kopf zu schütteln, bevor Elke
fortfuhr und behauptete, er müsse ohnehin lernen, weniger Fleisch zu sich zu
nehmen – oder am besten ganz darauf zu verzichten. Überhaupt habe sie im Auto
noch ein Buch mit den neuesten Erkenntnissen einer indischen Gemeinschaft und
meditativen Anleitungen zur Stärkung der Willenskraft. Und wie ihm denn das
Qi-Gong gefalle? Ob sie jetzt vielleicht doch einmal mit der Psychologin
sprechen solle?
Das Kurschatten-Pärchen grinste nach dem Schock mit der
Erpressungsnachricht schon wieder, frei nach dem Motto: »Für dich wäre ein
Kurschatten vielleicht auch nicht schlecht? Die Gattin scheint ja recht
anstrengend zu sein.«
Hubertus brach seine Ermittlungen,
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