Giftpilz
och, dass es do dadsäschlisch en Erpresser gibt? Sie ham
doch da och zwee Fraun am Start.«
Plötzlich war Hummel hellwach, die ganze Trägheit des Moments von
ihm gewichen.
Er erfuhr, dass »de Krausmann, Se wissen schon, de Pummlische«, sich
von ihrem Kurschatten (»dem Langeweiler, kennen Se doch – nu, vom Square
Dance«) getrennt habe, weil sie nicht umgebracht werden wollte. Es gebe nämlich
offenbar Erpresser, die es auf solche Pärchen abgesehen hätten.
Das Pärchen vom Kebabstand! Natürlich! Hatten die nun auch einen
Erpresserbrief bekommen?
»Ne, aber irgend ’n anderer hat denen davon erzählt. ’N ziemlisch
Dicker, muss och von hier sein.«
Die Beschreibung fand Hummel nicht gerade witzig, die Hysterie, die
seine Erzählung bei der Frau ausgelöst hatte, hingegen schon. Selbst schuld.
Warum ließ man sich auch auf so etwas ein?
»Nu, denn sin Se ja och gefährdet!«, meinte der Sachse und zeigte
mit dem rechten Zeigefinger auf Hummel. »Se ham doch och was nebenher laufen.
Hab isch doch gesehn. Waren doch noch mal beede da.«
Der Sachse war wirklich gut informiert.
Hubertus überlegte, ihn einzuweihen. Vielleicht konnte der sich mal
für ihn umhören. Er besaß jedenfalls die Kontaktfreudigkeit, die Hummel fehlte.
Aber wie würde dieser Erpresser darauf reagieren, wenn zu viele
Leute Bescheid wussten?
»Die eine, die Sie gesehen haben, ist meine getrennt von mir lebende
Frau, die andere meine neue Freundin«, sagte Hubertus erklärend.
Konnte der Sachse vielleicht sogar der Erpresser sein? Falls ja,
hatte Hummel die Sache jetzt wenigstens klargestellt. Der Sachse … Ja,
schließlich kannte der hier alles und jeden. Und als Ostdeutscher hatte er doch
sicher Kenntnisse, wie man Leute ausspioniert …
Da ging das rote Lämpchen der Political Correctness in Hummels Kopf
an: Es verbot ihm, den Gedanken weiterzuführen. Man konnte doch zwanzig Jahre
nach dem Mauerfall nicht jeden mit sächsischem Dialekt als potenziellen Stasispitzel
verunglimpfen!
»Freundin und Exfrau?«, grinste der Sachse. »Och gut.«
Hummel beschloss, den Sachsen aus dem Kreis der potenziell
Verdächtigen gleich wieder herauszunehmen. Vielleicht sollte er sich ihn aber
tatsächlich warmhalten.
Aber wer kam sonst in Frage? Wer wusste Bescheid? Und was war mit
diesem renitenten Expatienten, von dem ihm Dr. Auberle erzählt hatte?
Vermutlich gab es ja noch weitere von der Sorte …
»Ham Se übrigens gehört, dass da en Audo …«
Hummel schaltete wieder auf Durchzug, was bei der Häufigkeit, der
Länge und der Pointen der Geschichten seines sächsischen Nachbarn dringend
geboten schien. Sein Blick schweifte über den nun auch schon zum Frühstück
deutlich weniger dicht besetzten Raum, zum Selbstbedienungsregal, zur Küche –
und er erstarrte: schon wieder Thomsen und Winterhalter. Die dauernde Polizeipräsenz
konnte dem dümmsten Erpresser – und um einen solchen handelte es sich ja
offenbar in seinem Fall – nicht entgangen sein.
»Haben Sie es nun mit eigenen Augen gesehen oder nur davon
gehört?«
Hauptkommissar Thomsen war schon am frühen Morgen wieder kurz davor,
die Geduld zu verlieren. Nichts lief so, wie er sich das vorgestellt hatte.
Weder mit dem Einbruch in seiner Wohnung, den er mittlerweile als Hauptfall
auserkoren hatte, noch mit dieser etwas rätselhaften Vergiftungsgeschichte in
der Tannenklinik.
Sie hatten einen Hinweis bekommen, dass mehrere Angestellte zwischen
der Anlieferung der Pilze und dem Mittagessen ein verdächtiges Auto in der Nähe
des Lieferanteneingangs gesehen hatten.
»D’ Nadine Kronmeyer hät’s au g’sehe’«, sagte die Küchenhilfe, die
sie gerade befragten. »So en Lieferwage mit Waldshuter Kennzeiche – WT
irgendwas …«
Thomsen fasste sich wieder. »Haben Sie den Wagen denn auch gesehen,
oder hat Ihnen nur Ihre Kollegin Kronmeyer davon berichtet?«, fragte er
sachlich, während seine Augen aufmerksam durch die Küche wanderten – allerdings
ohne Verdächtiges wahrzunehmen. Pilzgerichte waren bis auf Weiteres von der
Speisekarte gestrichen worden. Der Maître war tief gekränkt und forderte die
Beamten auf, dringend Verhaftungen vorzunehmen, um seine Reputation
wiederherzustellen.
»Ich hab en scho g’sehe – aber beim Kennzeiche bin i mir nit so sicher«,
meinte die Küchenhilfe.
Frau Kronmeyer war sich »zu hundertdrei Prozent«, wie sie sagte,
sicher, dass das Kennzeichen außer dem WT auch noch ein »FK« gehabt habe. Bei
der darauf folgenden
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