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Giftschatten

Giftschatten

Titel: Giftschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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Dorfvorsteher nachfolgen? Dann muss er lernen, wie man die Gunst der Schatten und ein solches Amt gewinnt! Also fahr fort!«
    Sunnas Schultern sanken herab. »Ich hatte den Auftrag nicht allein erhalten. Iridor, ein Mann in meinem Alter, gutaussehend und nicht dumm, hatte ebenfalls um die Gnade gebeten. Die Schatten gewährten sie uns beiden. Sie schickten uns gemeinsam los.«
    »Kanntest du diesen Iridor?«
    »Der Sohn eines Winzers aus einem Nachbardorf. Ich hatte ihn bei Festen gesehen. Ab und zu wurde über ihn geredet, weil er lesen konnte. Wir wunderten uns, wo er das gelernt hatte. Ich habe ihn auf der Reise danach gefragt, er hat es sich selbst beigebracht.«
    »Dann kann er wirklich nicht dumm gewesen sein.«
    Sunna sah zu, wie sich die Glut durch den Kegel des Räucherwerks fraß. »Nicht in dieser Hinsicht. Aber wenn er einen Rock flattern sah, rutschte sein Verstand ins Gemächt. Das merkte ich schon am ersten Abend, als wir an einer Wegstation Rast machten. Der Wirt hatte zwei Töchter. Iridor empfing in dieser Nacht drei Besucherinnen in seinem Bett.«
    »Sagtest du nicht, der Wirt hätte zwei Töchter gehabt?«
    »Er hatte auch eine Frau.«
    »Dieser Iridor war wohl sehr einnehmend.«
    »Und gutaussehend, ja.«
    »Bist auch du ihm erlegen?« Lióla schielte zu Birros, dem das Thema tatsächlich unangenehm zu sein schien. Sein Bart spross noch unregelmäßig, wahrscheinlich hatte er kaum Erfahrung mit der Wollust gesammelt.
    Sunna resignierte. Sie erzählte, als ginge es um die Erlebnisse einer Fremden. »Noch nicht in dieser Nacht. Da mussten mir die Seufzer aus dem Bett nebenan genügen.«
    »Und das Geschick deiner Hand, nehme ich an.«
    Sie überging die Bemerkung. »Wir kamen ohne Zwischenfälle nach Joquin. Die Reise nutzten wir, um zu besprechen, wie Masirron aus dem Weg zu räumen sei. Ich schlug eine Mischung aus Goldmohn und Adelwurz vor, und Iridor gefiel der Gedanke, ein Gift zu verwenden, anstatt Masirron zu erwürgen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Als wir ankamen, merkten wir außerdem, dass der heilige Mann ständig von Jüngern umgeben war. Keine echten Leibwächter, aber wir waren auch keine Krieger. Sie hätten uns sicher gelyncht, wenn sie uns erwischt hätten. Für sie hätte es schließlich keine Bedeutung gehabt, wenn wir ihnen das Siegel der Schatten enthüllt hätten.«
    Lióla bemerkte das erneute Zittern in Sunnas Stimme. War sie aufgeregt, weil sie sich der Stelle näherte, an der sie ihre Pflicht gegenüber den Schatten erfüllt hatte? Ließ die Andacht sie erbeben, weil sie von der Erhabenheit der Schatten ergriffen war, denen sie treu gedient hatte? Dann wäre die Anklage falsch und diese Frau unschuldig gewesen. Oder zitterte sie, weil sie versuchte, Lióla zu täuschen?
    Der Rauch hatte einen starken Geruch, aber keine Kraft, Lióla etwas zu offenbaren. Für solcherlei stand sie noch zu weit am Anfang ihrer Ausbildung. Aber wenn sie es geschickt anstellte, reichte es völlig aus, Sunna glauben zu machen, Lióla könne in den Schlieren Wahrheit von Lüge scheiden. Bei dem, was die Vorsteherin bislang berichtet hatte, erkannte Lióla keinen Grund für eine Lüge. Also nickte sie bestätigend. »Weiter.«
    »Masirrons Frau war im Kindbett gestorben, aber er hatte eine Tochter, die er sehr liebte. Sie war etwa so alt wie Ihr, vierzehn Jahre vielleicht.«
    Ich bin sechzehn, dachte Lióla, vermutlich älter als dein Sohn, schwieg aber.
    »Ihre Augen waren groß, ihre Formen gut entwickelt, ihre Hüften sanft gerundet. Wie eine knospende Rose. Ich kann verstehen, weshalb Iridor ihr verfiel. Mehr als den anderen Frauen, denen wir begegnet waren.«
    »Er vergnügte sich mit der Tochter des heiligen Mannes?«
    »Das hätte er gern. Aber sie war Verehrer gewöhnt und verstand, sich ihrer zu erwehren. Sein Charisma riss die meisten Frauen mit wie eine Sturmflut, aber bei ihr war es nicht mehr als eine Nebelschwade, die versucht, einen Felsen wegzuschieben. Sie ließ sich nicht von ihm beeindrucken, plapperte stattdessen von den flatterhaften Träumen eines Mädchens, das an der Schwelle zur Frau steht. Schöne Kleider, ein junges Pferd, ein Ball mit bunten Bändern daran. Jeden Moment ein anderer Wunsch. In diesen Tagen wollte sie ihr Haar golden färben, die Schatten wissen, warum. Ihr Rot war wie die Sonne, die im Meer versinkt, aber sie wollte Gold. Die Nymphe bestärkte sie in diesem Wunsch, war bereit, ihn zu gewähren, wie Masirron uns berichtete. Ein Umstand, der ihn

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