Giftspur
Bücher, bis dahinter die Stahltür eines Tresors zu erkennen war. Das Drehrad surrte, ab und zu klackte es, dann öffnete sich mit metallischem Ächzen die etwa vierzig Zentimeter hohe Tür.
Sabine trat heran und beugte sich nach vorn. Das Innere des Safes war geräumiger, als es von außen aussah. Sie erkannte einige violette Geldbündel, eine Ledermappe sowie eine Schmuckschatulle. Auf dem Boden ruhten, in grünen Filz eingeschlagen, drei ziegelförmige Blöcke. Noch bevor ihr das Wort Goldbarren in den Kopf stieg, drückte Brüning flugs die Tür zurück und verriegelte das Zahlenschloss.
»Das ist mein Fort Knox«, sagte er und schritt wie selbstverständlich zum Schreibtisch zurück. »Sämtliche Einlagen sind legal, steuerlich erfasst und über jeden Zweifel erhaben.« Er feixte. »Soll ich
meinen
Anwalt anrufen?«
»Schon in Ordnung«, brummte Sabine und fragte sich, aus welchem Grund sich der Anwalt ihr gegenüber so freigiebig zeigte. Als hätte der ihren Gedanken erraten, sprach Brüning nach kurzem Schmunzeln weiter: »Ich habe Sie nicht hergebeten, um mit meinen Luxusattributen zu prahlen. Aber ich möchte, dass Sie mir vertrauen. Nur weil ich wohlhabend bin, bedeutet das nicht, dass ich zu den Bösen zähle. Nur weil ich solvente Klienten habe, heißt das nicht, ich würde das Proletariat mit Füßen treten.«
»Das habe ich Ihnen auch nicht vorgeworfen«, sagte Sabine kopfschüttelnd. »Doch Ihre hohe Präsenz ist schon etwas merkwürdig, Sie vertreten die Reitmeyers, diesen spanischen Lkw-Fahrer, Dr. Elsass …«
»Das Gleiche könnte ich auch von Ihnen sagen«, entgegnete Brüning. »Sie treten jedem meiner Klienten auf die Zehenspitzen, und in Victors Fall sogar besonders unsanft.«
»Er hätte nicht fliehen müssen«, wandte Sabine ein, und der Anwalt seufzte.
»Zugegeben, das war dumm. Aber haben Sie tatsächlich vor, ihn wegen dieser Lappalien festzuhalten?«
Sabine musterte ihr Gegenüber. Alles an Dr. Brünings Mimik und Körperhaltung deutete darauf hin, dass er seine Worte ernst meinte. Doch gehörte es nicht zu den grundlegenden Fähigkeiten eines erfolgreichen Anwalts, überzeugende Plädoyers zu halten, völlig unabhängig davon, ob sie der Wahrheit entsprachen? Sie kam zu keinem abschließenden Urteil und antwortete daher vorsichtig: »Nicht alle möglichen Anklagepunkte sind Kavaliersdelikte.«
»Sie sprechen von Mord und Erpressung? Lächerlich!« Verschwunden war die charmante Fassade.
»Weshalb haben Sie mich denn nun herbestellt?«
»Ich möchte für meinen Mandanten erreichen, dass er freigelassen wird. Umgehend.«
Ein Geständnis wäre der Kommissarin lieber gewesen. Insgeheim hatte sie es sich die Fahrt über sogar ausgemalt. Elsass gestand, und Brüning justierte im Gegenzug die Stellschrauben von Haftdauer und -bedingungen. Doch da war wohl der Wunsch Vater des Gedanken gewesen.
»Aufgrund wessen sollten wir das denn tun?«, fragte sie spitz.
»Victor ist kein schlechter Mensch, im Gegenteil«, begann Brüning. Das eigentliche Plädoyer begann offenbar erst jetzt. »Er forscht und arbeitet für eine gute Sache, ist politisch aktiv und hat sein Genie in den Dienst der Reitmeyers gestellt, wohl wissend, dass er in den USA oder Japan mit seinen Patenten Millionen hätte scheffeln können. Dieses Hobby, die Zucht von betörenden Pflanzen, dürfen Sie nicht überbewerten. Selbst hier hat er darauf geachtet, keine Setzlinge zu ziehen, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen. Er hat die Substanzen nicht einmal verkauft, sondern die Produkte lediglich selbst konsumiert. All das hält einer Gerichtsverhandlung nicht stand, auch nicht seine Flucht vor Ihnen, denn Sie hatten ja nicht das Ansinnen einer Verhaftung vorgebracht. Aber mehr als das, und das schwöre ich Ihnen, wenn’s sein muss, auf die Bibel, gibt es nicht.«
Sabine schluckte. Die Worte Brünings klangen noch einige Sekunden nach, bevor sie reagieren konnte. Im Grunde hatte er nichts weiter getan, als ihre ohnehin bestehenden Zweifel auf den Punkt zu bringen.
»Diese Rede hätten Sie schon früher halten können«, warf sie ein.
»Victor hat all das bereits ausgesagt«, widersprach Brüning, »aber Ihr Kollege hat ihn mit seinen Drohungen verschreckt. Arzneimittelgesetz, Eingriff in den Bahnverkehr«, wiederholte er spöttisch, »dass ich nicht lache.«
»Schon gut, ich hab’s verstanden«, erwiderte Sabine. »Aber es steckt doch noch mehr dahinter, nehme ich an.«
»Dazu kommen wir erst, wenn
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