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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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wirken ließ. Vor ihr saß ein Mann, der sich aller Wahrscheinlichkeit nach in aufrichtiger Trauer befand. Davon war sie überzeugt, doch dann fiel ihr etwas ein.
    »Sie haben erwähnt, dass Reitmeyer sich den Hof unter den Nagel gerissen habe«, setzte Sabine an und neigte aufmerksam den Kopf. Kein Muskel im Gesicht ihres Gesprächspartners entging ihrem geschulten Auge, und sie fragte sich, ob die Schweißperlen mehr geworden waren oder ob der Mann permanent schwitzte. Der Raum hatte eine muffige, überheizte Atmosphäre; das und die ausgeprägte Adipositas ließen Letzteres vermuten.
    »Das sagte ich, ja«, nickte er und blickte düster drein.
    »Würden Sie also auch sagen, dass Ulf Reitmeyer eine weitaus weniger beliebte Person war als Herr Kötting?«
    »Allerdings.«
    »Und zwischen Reitmeyer und Kötting, wie sah es da aus?«
    Wenn die erste Einschätzung des Arztes stimmte, war Kötting etwa zur gleichen Zeit wie Reitmeyer gestorben. Andererseits konnten auch einige Stunden dazwischen liegen.
    »Herr oder Frau Reitmeyer?«, kam es zurück.
    »Spielt das eine Rolle?«
    »Nein, im Grunde genommen nicht. Ulf und Malte hatten sich seinerzeit mehr als ein Mal in den Haaren, aber letzten Endes hat die Übernahme den Hof vor dem Bankrott gerettet.
Beiß nicht die Hand, die dich füttert,
oder? Wir haben uns arrangiert.«
    »Hm. Und Claudia?«
    »Dazu möchte ich nichts sagen in Gegenwart einer Dame.« Er schmunzelte und bedachte sie mit einem vielsagenden Blick.
    »Verstehe. Galt das Gleiche auch für Herrn Kötting?«
    »Ja, aber das hat nichts zu bedeuten. Das gilt für alle hier.« Er legte sich verschwörerisch den Zeigefinger vor die wulstigen Lippen. »Diese Hexe wird den Betrieb binnen kürzester Zeit vor die Wand fahren, aber das habe ich offiziell niemals gesagt, hören Sie?«
    Sabine lächelte und nickte ihm blinzelnd zu. »Danke. Sprechen Sie mit Ihren Mitarbeitern, oder wissen diese schon Bescheid?«
    »Ich erledige das. Müssen Sie noch jemanden befragen?«
    »Gab es besonders enge Arbeitskollegen von Herrn Kötting?«
    »Nein, eigentlich nicht. Er hatte den Container nebenan, ansonsten war er ständig auf dem Hof zugange. Mir fällt da niemand Bestimmtes ein.«
    »Weshalb arbeiten Sie eigentlich in diesen Containern?«
    »Umbau in einigen Gebäuden«, erklärte er und winkte abfällig. »Mitten im Winter. Dreimal dürfen Sie raten, wessen schwachsinnige Idee das war.«
    »Verstehe. Ich würde mich gerne noch an Herrn Köttings Arbeitsplatz umsehen, in Ordnung?«
    »Klar.«
    »Und noch eine Sache, bevor ich es vergesse«, sagte Sabine hastig, und der Mann, der bereits aufstehen wollte, hielt noch einmal inne. »Hatte Herr Kötting irgendwelche Erkrankungen, zum Beispiel ein Herzleiden oder dergleichen?«
    »Malte? Quatsch!«, kam es inbrünstig. »Ich kenne kaum jemanden, der gesünder gewesen sein dürfte als er.«
    Die beiden erhoben sich, dabei ächzte der sympathische Fleischklops nicht wenig. Im Hinausgehen, ein eisiger Windzug fuhr durch den Türspalt, sagte die Kommissarin wie beiläufig: »Sie haben mir Ihren Namen noch nicht verraten.«
    »Sie haben nicht gefragt«, lächelte er und zog die buschigen, blassbraunen Augenbrauen hoch. »Adrian Becker.«
    Bevor die Kommissarin überhaupt etwas denken oder erwidern konnte, sprach Becker mit mokantem Unterton weiter: »Und Sie brauchen es nicht zu sagen: Ich kenne sämtliche Spötteleien.« Er klopfte sich mit den Handflächen auf die Wampe. »Metzger hätte besser gepasst, ich weiß, aber ich stamme tatsächlich aus einer Bäckerfamilie. Fleisch hingegen esse ich seit Jahren nicht mehr, ob Sie’s glauben oder nicht.«
    »So weit habe ich überhaupt nicht gedacht«, erwiderte Sabine, die sich ertappt fühlte, obgleich sie sich niemals zu einem abfälligen Kommentar erdreistet hätte.
    Becker schloss die Tür auf und bedeutete ihr, einzutreten. Schwermütig warf er einen Blick ins Innere des Raumes, der dem seinen weitestgehend glich. Er seufzte und verabschiedete sich mit den Worten: »Ich bin drüben, sollte etwas sein. Bitte geben Sie mir Bescheid, wenn Sie gehen, damit ich wieder zuschließen kann.«
     
    Am Waldrand, verborgen durch tief hinabhängende Nadelbäume, lehnte Claudia Reitmeyer an dem mit ockerfarbenen Lehmspritzern gesprenkelten Landrover und blickte schweigend in Richtung des Milchbetriebs. Tannenhof, so lautete die alte Flurbezeichnung des Anwesens. Im Gegensatz zu unzähligen anderen Höfen hatten weder der Krieg noch die

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