Giftspur
Strähne und stahlblaue, wachsame Augen lugten unter seiner Baseball-Kappe hervor.
»Ja, mein Name ist Kaufmann von der Kripo«, sagte Sabine hastig. »Gibt es hier ein Büro?«
»Dort drüben.« Der Junge deutete neben sich. Entlang der Hofmauer waren drei weißgraue Container aufgestellt, wie man sie als Behelfsräume von Baustellen oder mobile Gebäudeerweiterungen kannte. An dem vorderen Container baumelte ein Schild mit dem Aufdruck
»Anmeldung«.
Hinter dem viereckigen Fenster war Licht zu erkennen.
»Okay, danke«, nickte Sabine freundlich und wandte sich ab, doch der Junge schloss zügig zu ihr auf.
»Kripo?«, wiederholte er fragend und blinzelte in die Sonne. Die Kommissarin überlegte kurz und entschied sich spontan, das Interesse des Jungen zu nutzen.
»Arbeitest du hier?«, fragte sie, obwohl diese Frage sich allein durch seine Anwesenheit und die Arbeitsmontur beantwortete.
»Kann man so sagen«, gab er zögerlich zurück.
»Wie heißt du?«
»Martin. Und Sie?« Er grinste.
»Sabine«, grinste sie zurück. »Meinen Nachnamen kennst du ja bereits. Hast du auch einen?«
»Uhland.«
Sabine stockte. Uhland. Irgendetwas in ihrem Unterbewusstsein schrie ihr eine Information zu.
»Moment, Martin Uhland? Da klingelt bei mir etwas«, sagte sie. Die Erinnerung war wieder da. Es war der Name des jungen Mannes, der beim sogenannten
Heilsberg-Mord
den entscheidenden Hinweis geliefert hatte. Ein Hinweis, der einen ihrer Kollegen das Leben gekostet hatte.
»Was machst du hier?«
»So ’ne Art Praktikum, schätze ich«, brummte dieser. »Ein Knochenjob, aber besser als Knast, nehme ich an.«
»Dessen kannst du dir sicher sein«, gab Sabine zurück. Sie war dem Jungen nie begegnet, aber er machte auf sie nicht den Eindruck, als würde ihm unbändige kriminelle Energie innewohnen. Ganz anders als bei seinen Kumpanen.
»Meine Alten, ähm, ich meine, meine Eltern haben das mit der Jugendgerichtshilfe ausbaldowert.« Er zuckte die Schultern und versuchte, lässig zu wirken. »Ist wohl nur fair, wenn ich mitspiele.«
Sprach dort er selbst oder irgendein Sozialarbeiter? Spielte er eine Rolle, oder bereute er, in eine Sache verstrickt zu sein, die zwei Menschenleben gefordert hatte? Sabine gelang es nicht, analytisch zu denken, denn die Bitterkeit und der Schmerz über den Verlust von Heiko Schultz waren noch viel zu frisch.
»Ich habe bei dem Einsatz einen guten Freund verloren«, sagte sie freiheraus mit sehr ernster Miene. »Also würde ich sagen, du hast verdammtes Glück, wie du aus der ganzen Sache rausgekommen bist.«
Martin zuckte zusammen. »Der Cop, der erstochen wurde?«, vergewisserte er sich, und Sabine nickte.
»Scheiße.« Er wurde bleich.
»Ich habe mich mit dem Fall nur teilweise befasst«, erklärte Sabine, »aber ich rate dir eines: Halte dich künftig von solchen Typen fern, wenn dir etwas an deiner Zukunft liegt.«
»Das sagt meine Psychotante auch«, murmelte der Junge verlegen, noch immer nicht in der Lage, Sabines Blick standzuhalten. »Wir ziehen Ende des Monats von hier weg«, sprach er weiter, »irgendwo in den Osten. Für meinen Vater rentiert sich das jobmäßig, und ich muss dort natürlich wieder zur Schule.« Augenrollen.
»Sauber bleiben ist mehr als nur Wegziehen. Aber es ist ein erster Schritt. Der Rest liegt bei dir«, mahnte Sabine. »Ich hoffe inständig, du hast deine Lektion gelernt.«
»Hm. Denke schon. Ich muss ja oft genug drüber quatschen mit dem Fuzzi vom Jugendamt und der Psychologin.«
»Das ist auch gut so.«
»Sie sind aber offenbar nicht meinetwegen hier.«
»Stimmt.« Sabine entschloss sich dazu, es dabei bewenden zu lassen. Der Fall war abgeschlossen, die beiden Täter hinter Gittern. Sie war zwar noch nicht dazu bereit, Martin Uhland als Opfer zu betrachten, denn er hatte sich den beiden immerhin aus freien Stücken angeschlossen. Doch es lag nicht an ihr, darüber zu entscheiden, und es würde Heiko Schultz nicht wieder lebendig machen. Also rang sie sich ein knappes Lächeln ab und erklärte: »Ich bin wegen etwas anderem hier.«
»Hm.«
»Kennst du Malte Kötting?«
»Kaum.« Martin schüttelte den Kopf. »Aber seltsam, dass sich heute jeder für ihn interessiert.«
»Wieso jeder?«
»Er wird vermisst. Urlaub hat er keinen, das habe ich vorhin im Stall aufgeschnappt, aber krankgemeldet hat er sich auch nicht. Da redet man halt so drüber … Moment mal.« Er dachte nach. »Ist er etwa tot?«
»Wie kommst du denn darauf?«, erwiderte die
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