Giftspur
eine Stunde am selben Ort aufzuhalten, und dann wurde Reitmeyers Tod mittlerweile als vermeintlich natürlich abgetan, was eine Befragung zu erübrigen schien. Doch Schulte und Möbs konnten sich noch so sehr dagegen sträuben: Der Zusammenhang zwischen den beiden Toten war markant genug, um sich mit dem Umfeld der Männer auseinanderzusetzen. Ralph nippte an seiner Tasse und verzog angewidert den Mund. Zu heiß, zu stark, zu bitter. Ganz wie erwartet.
Wenigstens eine Sache, auf die man sich verlassen kann,
dachte er sarkastisch. Morgen würde er seinen Automaten von zu Hause mitbringen. Janine trank keinen Kaffee, wenigstens ein weiches Suchtmittel, dem sie nicht verfallen war, und würde sie wohl kaum vermissen.
Das Telefon klingelte, auf dem Display erkannte Angersbach eine Gießener Vorwahl. Professor Hack verkündete, dass auch der Tod Köttings allem Anschein nach ohne Fremdeinwirkung eingetreten war. Dann aber machte der Rechtsmediziner eine entscheidende Einschränkung.
»Wieder so ein junger Hüpfer, zumindest seinen Innereien nach. Gesunde Ernährung und Sport gehen eben doch nicht spurlos an einem Körper vorüber«, kommentierte er lax. »Nahm Kötting Medikamente?«
»Nicht, dass ich wüsste«, verneinte Ralph. Von einem Medizinschrank oder Betäubungsmitteln hatte keiner der Tatortermittler etwas gesagt.
»Hm. Besteht eine Möglichkeit, die Lebensmittel aus dem Umfeld der Toten zu untersuchen?«, erkundigte sich Hack.
»Bei Kötting kein Problem«, antwortete Angersbach und machte eine kurze Pause, um seine Erinnerung an Reitmeyers Haus abzurufen. »Bei dem anderen wohl kaum. Es sind ja fast drei Tage vergangen, und die Tochter wohnt dort«, erklärte er dann resigniert. »Wonach suchen wir denn?«
»Ich drücke es mal so aus. Kötting und Reitmeyer teilten offenbar zwei gemeinsame Vorlieben. Kandierter Ingwer und Sauermilchprodukte.«
»Sauermilchprodukte?«, wiederholte Angersbach.
»Buttermilch, Naturjoghurt, präziser geht es nicht«, führte Hack aus. »Das und diese widerliche Wurzel haben sich in beiden Verdauungssystemen gefunden.« Angespannt knetete Angersbach sein Kinn. Die beiden Männer arbeiteten im selben Betrieb, hatten dieselben Essgewohnheiten, und dann war da noch diese obskure Verbindung zwischen Molkereiprodukten und einem Milchlaster. Sah er Gespenster?
»Ich warte«, drängte Hack, und Angersbach schrak auf.
»Sorry. Also gut, bei Kötting stand ein nicht verzehrter Salat auf dem Tisch, und Sie können von mir aus seine ganze Speisekammer unter die Lupe nehmen. Er lebte allein, es dürfte dem aktuellen Ermittlungsstand nach alles unverändert sein.«
»Begnügen wir uns zunächst mit dem Ingwer und den Molkereiprodukten«, wehrte Hack ab. »Ich werde der Spurensicherung nicht den Job streitig machen. Versprechen Sie sich außerdem keine Wunder davon, es ist nur ein Vorstoß meinerseits.«
»Wunder sind etwas für Gläubige«, kommentierte Angersbach lapidar, »aber Sie verraten mir schon Ihren Denkansatz, oder?«
Hack lachte kurz auf und sagte dann nur: »Gift.«
»Gift?«
»Bilde ich mir das ein, oder gibt es hier ein Echo?«
»Ich habe keine Lust auf Spielchen!«, rief Angersbach verärgert.
»Dann lassen Sie mich meine Arbeit machen«, entgegnete der Rechtsmediziner kühl. »Ich melde mich wieder.«
Mehr war nicht aus ihm herauszuholen, wie dem Kommissar klar war, denn niemand drängte Professor Hack zu Dingen, die er nicht selbst preisgeben wollte. Gerade, als er den Hörer aus der Hand legen wollte, erklang dann aber doch noch einmal dessen Stimme, und sie war frei von dem ihr typischen mürrischen Klang: »Recherchieren Sie im Internet derweil mal den Begriff
Herzglykoside.
«
Für Sabine Kaufmann endete die Inaugenscheinnahme des Arbeitsplatzes von Malte Kötting mit einem Paukenschlag. Sie hatte am Schreibtisch Platz genommen und überlegte gerade, ob die freizügige Erlaubnis Beckers, sich im Büro seines Vizes umzusehen, auch das Durchforsten des Computers beinhaltete.
Wenn er kein Passwort hat …
Weiter war sie nicht gekommen. Die Tür flog auf und schlug so weit aus, dass die Klinke an die Wand schepperte, im gleichen Moment tauchte die vergleichsweise zierliche Gestalt Claudia Reitmeyers im Eingang auf und hinter ihr das Ungetüm Volz. Er musste sich ducken, um ins Innere zu gelangen, und blieb dann im Türbereich stehen, während Claudia sich entrüstet vor der Kommissarin aufbaute.
»Was machen Sie hier?«, herrschte sie Sabine mit in die
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