Giftspur
Hüften gestemmten Armen an. Diese zwang sich zu der nötigen Gelassenheit, um die Situation nicht eskalieren zu lassen.
»Ich sehe mich an Herrn Köttings Arbeitsplatz um«, begann sie kleinlaut.
»Das dürfen Sie nicht so ohne weiteres!«, schnitt Claudia ihr harsch das Wort ab und knurrte anschließend: »Dieser Becker kann was erleben.«
»Herrn Becker trifft keine Schuld«, wandte Sabine ein, »ich habe ihn womöglich überrumpelt, als ich ihn fragte, ob er mir aufschließt. Ihm geht der Tod Köttings offenbar recht nah.«
Ganz im Gegensatz zu dir.
Sabine hätte Claudia nur allzu gerne die Meinung gegeigt, doch sie zwang sich weiterhin zur Zurückhaltung, denn je mehr sie ihr Gegenüber gewähren ließ, umso unverhohlener zeigte diese ihr wahres Gesicht.
»Wie auch immer. Becker arbeitet für mich. Und demnach treffe ich hier die Entscheidungen. Bitte!« Frau Reitmeyer deutete in Richtung Tür, wo Gunnar Volz grinsend zur Seite trat und ebenfalls auffordernd neben sich wies. Sabine nickte und erhob sich. Sie nahm ihren Mantel und ihre Tasche, schlenderte ohne Eile zum Ausgang und hielt erst draußen auf dem Gitterrost inne.
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass Sie mir plötzlich derart die Kooperation verwehren«, sagte sie, wobei sie den direkten Blickkontakt mied, »aber ich werde es mir für die Zukunft merken.«
Mit diesen Worten, die ihre Wirkung zumindest bei Volz nicht zu verfehlen schienen, verließ sie den Container. Auf dem Weg zum Auto entschied sich die Kommissarin dagegen, noch einmal bei Becker einzukehren, da sie nicht für weitere Unannehmlichkeiten verantwortlich sein wollte. Sie stellte sich bildlich vor, wie Claudia Reitmeyer sich wie eine Furie vor dem armen Fleischberg aufplusterte und ihn in Grund und Boden redete, obgleich sie nur ein Drittel seiner Ausmaße hatte. Wenn in Familie Reitmeyer die altbekannte Redewendung
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Anwendung fand, so hatte Sabine Kaufmann plötzlich eine ziemliche präzise Vorstellung vom Wesen ihres Vaters. Doch all das erklärte in keinerlei Weise den Tod von Malte Kötting.
Grübelnd näherte sich Sabine ihrem Wagen und kramte ihren Autoschlüssel hervor, dennoch bemerkte sie die Bewegung in ihren Augenwinkeln. Ihr Kopf schnellte nach oben.
»Du schon wieder«, lächelte sie Martin an, der sich ihr lautlos wie eine Katze genähert hatte. »Zweimal am Tag lasse ich mich nicht von dir erschrecken.«
»Wollte ich ja gar nicht«, erwiderte er und streifte sich seine Arbeitshandschuhe von den Händen. Dann fischte er ein Päckchen Lucky Strike aus dem Jackeninneren, der Karton war abgestoßen und knittrig, nur noch drei Filter ragten heraus. Sabine konnte die Gedanken des Jungen förmlich lesen, wie Regieanweisungen auf einem Bildschirm schienen sie über seine in Falten gelegte Stirn zu wandern.
»Ich rauche nicht«, sagte sie leise, und Martin blinzelte sie anerkennend an.
»Woher wussten Sie …?«
»Ich bin Polizistin, schon vergessen?«, lachte sie. »In deiner Packung sind noch drei Zigaretten, und auf dem Hof gibt es unter Garantie keinen Automaten. Dir wäre nur noch eine einzige geblieben, und bis du hier wegkommst, dürfte es noch ein paar Stunden dauern, habe ich recht?«
»Hm. Ich könnte natürlich noch welche in meinem Spind haben«, redete der Junge sich heraus.
»Mag sein, aber mir gefällt meine Theorie besser.«
»Sie stimmt ja auch«, brummelte Martin.
»Um welche Zeit wird denn nachmittags gemolken? Schätze, der Arbeitstag wird vom Rhythmus der Kühe bestimmt, oder?«
»Schon, aber da habe ich längst Schluss«, winkte der Junge ab. »Ich bin diese Woche in der Morgenschicht dran, also dauert’s nicht mehr lange bis Feierabend.« Er grinste schief. »Zwei Zigaretten noch, sonst hätte ich mir mehr mitgebracht. Aber das Melken ist ohnehin ein Witz.«
»Wieso?«
»Der lange Winter, die wenige Sonne, was weiß ich. Kuh-Depressionen vielleicht. So wenig Milch wie in dieser Saison gab es noch nie.«
»Hat der Hof nicht Abgabeverträge?«
»Ja, schon. Aber wenn die Euter nicht voll sind, kann man’s ja nicht beizaubern, oder?«, erwiderte Martin naseweis. »Hat das was mit Ihrer Ermittlung zu tun, oder wollen Sie umsatteln auf Viehwirtschaft?«
»Nur interessehalber«, murmelte Sabine abwesend, denn wieder schoss ihr ein gewisser Milchtransporter ins Gedächtnis. »Sag mal, wer holt denn die Milch?«
»Das meiste wird hier verarbeitet«, antwortete Martin und deutete auf die
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