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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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Ahlsens nahm sein Wasserglas, und es hatte den Anschein, als bringe er einen Trinkspruch aus.
Hatte dessen Idee seinen Besitz gerettet?, überlegte Judith.
Ahlsens hielt einen Moment inne, dann stand er auf und entschuldigte sich, um etwas aus einem der Bibliotheksschränke zu holen. Er kehrte mit einem alten Leitzordner zurück, den er vor Judith auf den Tisch legte und ihr anbot, darin zu blättern. Er setzte sich neben sie und berichtete weiter: »Ab Herbst 1947 haben wir hier auf dem Gut die Schulungen für Pflanzenschutztechniker durchgeführt. Als einheimische Pflanze war die Kartoffel in der Nachkriegszeit ein äußerst wichtiges Nahrungsmittel und auch wir hatten, wie schon angedeutet, große Probleme mit dem Kartoffelkäfer. Eine Zeit lang hat man die chemische Bekämpfung mit Schwefelkohlenstoff versucht. Das war ziemlich gefährlich: Eigentlich sollte das Zeug in Benzintankwagen zu den Feldern gefahren werden, doch oft hat man das Mittel in Fässern mit einem Lkw vom Herstellerwerk geholt. Obwohl diese gefährliche Ladung nur in den frühen Morgenstunden transportiert wurde, kam es zu Unfällen und so hat man diese Bekämpfungsmethode schon nach wenigen Jahren eingestellt.«
Dann blätterte Ahlsens ein paar Seiten weiter: »1949 griffen die Russen energisch ein und befahlen verschärfte Maßnahmen gegen das Biest, gerade hier im Kreis Gardelegen an der Grenze zum Westen. Ab sofort wurde die chemische Bekämpfung mit Arsenkalzium durchgeführt.« Er dachte einen Moment nach und erinnerte sich: »In Kalbe gab es eine kleine Landmaschinenfabrik. Die baute entsprechende Gespannspritzen. Man brauchte also nur noch ein Pferd. Hier, sehen Sie, das ist ein Foto von den Giftbehältern«, wies er auf ein vergilbtes Blatt aus einer alten Fachzeitschrift hin. »Die meisten Bauern sind aber mit Rückenspritzen los, wenn ich mich recht erinnere.«
»Wo wurde das Gift denn aufbewahrt?«, fragte Judith Brunner eher beiläufig.
»Auch hier, auf dem Gelände von Gut Waldau. Der riesige Schuppen steht aber nicht mehr. Ist viele Jahre später abgebrannt ... Die Kalkarsenbrühe haben wir damals in Fässern angesetzt. Selbst die Verpackung des Kalkarsens war nachweisbar zu vernichten.«
»Und alles mit Arsen?«, wunderte sich Judith. »Durfte man die Kartoffeln nach dem Spritzen etwa essen?«
Ahlsens erklärte: »Verfüttern durfte man sie. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand. Ich glaube, sechs Wochen waren als Mindestabstand festgelegt.«
Die Erinnerungen schienen so vielfältig zurückzukommen, dass Botho Ahlsens gar nicht wusste, was er zuerst erzählen sollte: »Ach. Und am Gütergleis am Bahnhof in Gardelegen hatten wir Kontrollen zu erledigen, damit ja keine Kartoffellieferung mit Käfern zur Abfertigung gelangte. Sogar die Polizei war zu verständigen, falls wir bei diesen Kontrollen fündig geworden wären«, ergänzte er mit einem Seitenblick auf die Hauptkommissarin.
Beim bedächtigen Blättern in seinem Ordner stieß er dann auf mehrere Seiten mit detaillierten technischen Zeichnungen und chemische Formeln. Er erklärte: »Für die nötigen Entwesungen war ein gasdicht zu verschließender Raum notwendig mit etwa 30 Kubikmeter Rauminhalt. Ich weiß noch, wie wir in Gardelegen ewig danach gesucht haben, denn er musste mindestens 5 Meter von jedem Wohn-, Stall- oder Aufenthaltsraum entfernt sein. Und heizbar musste er auch sein, denn die Begasungen wirkten unter 12 Grad nicht genügend. Für die Kammerbegasung haben wir damals Calcid verwendet, ich denke, es waren Tabletten. Hier muss doch irgendwo ein Prospekt dabei sein«, blätterte er weiter. »Ah, hier, richtig: 1 Tablette zu 20 Gramm je Kubikmeter Raum«, las Ahlsens vor. »Die Waggonbegasung hat man meistens in Begasungstunneln durchgeführt. Aber das Calcid war dafür nicht geeignet; man hat Zyklon genommen, 10 Gramm HCN je Kubikmeter.«
Plötzlich verstummte Ahlsens Redefluss, als hätte er das Thema seines Vortrages vergessen. Er sah Judith Brunner betreten an und sagte ohne jede eitle Pose: »Verzeihen Sie meine Geschwätzigkeit. Meine Ausführungen helfen Ihnen wohl kaum weiter.«
»Da muss ich Ihnen energisch widersprechen! Ich finde das alles hochinteressant. Und ich denke, Sie haben das Rätsel eben gelöst«, gab Judith Brunner zu seiner nicht geringen Überraschung erfreut zurück.
»Welches Rätsel?«
»Na, meine Frage nach Ihren speziellen Kenntnissen: Sie sind ein Spezialist für Gifte!«
»Tatsächlich?«, staunte Botho Ahlsens über sich selbst.

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