Giftweizen
»Könnte es das sein?«
»Ich vermute schon«, meinte Judith Brunner, war sich aber ziemlich sicher. Hatte Dr. Renz nicht vorhin am Telefon die Verwendung von Gift angedeutet? Allerdings hätte sie gern noch den Rest gehört. »Wie ging es dann weiter?«
»Was meinen Sie?«
Judith Brunner ließ nicht locker: »Herr Ahlsens, wir wissen beide, dass das nur ein Teil der Geschichte ist.«
»So? Wissen wir das?«
»Ja. Sonst hätten Sie sich Ihre einleitenden Ausführungen sparen können.«
Ein Lächeln überflog Ahlsens’ Gesicht: »Richtig. Mein Fehler. Na gut. Also weiter ... In Aschersleben gab es dann ab Ende 1949 eine ›Biologische Zentralanstalt für Land- und Forstwirtschaft‹ als Außenstelle des Landwirtschaftsministeriums. Unser Gut verlor an Bedeutung, was die Fülle der Aufgaben anbelangte. Das Personal folgte der Arbeit; nur Laurenz und der alte Weber machten mit uns weiter. Paul und mir blieb zunächst nur etwas Forschungsraum in der Obstbaumpflege. Man wollte weg vom Wegeobstbau, der als überholt galt, und hin zum Plantagenobstbau. Das fand ich eigentlich ganz reizvoll. Paul nicht. Er probierte es daher mit dem Vorratsschutz von Getreide und forschte dort weiter; wichtig für die Brauereien, aber vor allem für Mühlen und Futtermittel produzierende Betriebe, denen die Kornkäfer alles wegfraßen. Irgendwann hat er damit dann aber aufgehört und fing gemeinsam mit Berger an, Pflanzen zu züchten.«
»Aha. Das erklärt alles«, meinte Judith Brunner. Die Ironie war nicht zu überhören.
»Warten Sie. Wir wurden beide ins Ministerium nach Berlin bestellt. Das konnte damals, Anfang der fünfziger Jahre, für die Menschen alles bedeuten, von ab nach Sibirien bis zum Aufstieg in den Machtapparat, mit rasch wechselnden Präferenzen der Verantwortlichen in Berlin und Moskau. Auf dem Lande wurden die ersten Genossenschaften gegründet, nicht immer mit gewaltfreien Begleitumständen. Da kann Ihnen hier jeder ein paar unerfreuliche Geschichten erzählen. Viele Neubauern haben seinerzeit allerdings auch ihr Glück gemacht und die meisten fahren bis heute gut damit. Na schön ... Paul und ich haben damals zwei Nächte durchdiskutiert, was man im Ministerium wohl von uns wollen könnte. Wir wussten aus dem Bekanntenkreis von genügend Versuchen, uns so genannte bürgerliche Wissenschaftler mit Drohszenarien einzuschüchtern. Da hat selbst virtuoses Agieren in den diversen Partei- und Staatsebenen nicht immer geholfen. Die Auslegungspraxis von Vorschriften führte zu ziemlichen Rechtsunsicherheiten, und viele Fachleute gingen in den Westen. Es war dort wesentlich einfacher, vor allem aber sicherer, ein Forschungsinstitut aufzubauen und privat oder staatlich gefördert wissenschaftlich zu arbeiten.« Ahlsens hielt kurz inne, bevor er Judith Brunner direkt ansah und mit Überzeugung sagte: »Doch für uns war das keine Option.«
»Sie wollten in Waldau bleiben«, verstand sie.
»Genau. Das hier war unser Zuhause. Und Paul und ich, wir hatten verdammtes Glück. Das war der Preis: unser Wissen und unsere Forschung für ein Leben in Waldau. Das Gut kam unter staatliche Verwaltung und wir wurden Angestellte. Das war’s. Wir bekamen beide lukrative Einzelverträge.« Ahlsens schmunzelte und vergaß weiterzureden.
»Was ist?« Judith Brunner war neugierig.
»Wissen Sie, dass wir offiziell als ›Angehörige der Intelligenz‹ eingeordnet wurden? Was für ein Spaß! Wir haben uns immer gegenseitig damit aufgezogen, wenn bei unseren Forschungen wieder mal etwas danebengegangen war. Wir hatten es schließlich schwarz auf weiß, intelligent zu sein.«
»Sie müssen wirklich gut gewesen sein«, war Judith Brunner überzeugt.
»Waren wir. Das kann ich bei aller Bescheidenheit sagen. Und es hat uns zudem begeistert, im Pflanzenschutz und in der Pflanzenzucht weiter zu machen. Und das auf unserem Gut – zumindest empfanden wir das so, als unser Gut. Paul hat tolle Zierpflanzen für das Freiland hinbekommen! Sie haben keine Vorstellung!«, schwärmte er auf sympathische Weise für die Arbeit seines Bruders. »Die haben international einen Preis nach dem anderen abgeräumt und der Staat hat damit einiges an Devisen rein bekommen«, fügte er stolz hinzu. »Mir ist es gelungen, einer alten Obstkrankheit bei Äpfeln auf die Spur zu kommen, und die Erträge wuchsen erheblich. Auf eines unserer Pflanzenschutzmittel wurde ein Patent angemeldet und ich werde immer noch am Erlös beteiligt. Frau Brunner, ich bin wirklich eine Kapazität
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