Giftweizen
Dreyer sah in diese Richtung. Die Straße war nicht zu sehen. »Ne Karre? Was für eine denn?«
»Sah aus wien alter Skoda. Braun«, war Kurz sich sicher.
»So genau haben Sie das erkannt? Ich sehe gar nichts von hier.«
»Könnse auch nich. Ick war nämlich oom aufm Trekker, stand aufm zweiten Tritt. Da sieht man ville mehr.«
Walter Dreyer überlegte. Die Angaben könnten stimmen, denn Kurz hätte gut anderthalb Meter Höhengewinn. »Haben Sie eine Idee, wem der Wagen gehörte?«, fragte Dreyer hoffnungsvoll. Auf dem Dorf kannte man die Wagen der Nachbarn.
»War keener von hier. Kenn die Karre nich. Deswegen fiel se mir ja uff.«
Alles klang so, als könnte das, was Kurz beobachtet hatte, den Tatsachen entsprechen.
»Und Sie haben das Auto nicht gesehen?«, wandte sich Dreyer an Achim Scholz.
»Nö.«
»Haben Sie eventuell den Fahrer erkannt?«, machte Dreyer Kurz Mut, intensiver in seinem Gedächtnis zu kramen. »Lief jemand umher?«
Beide Arbeiter schüttelten die Köpfe.
»War unjefähr anner Müllgrube«, vermutete jetzt Kurz doch noch, »iss ja nich weit.«
Das wäre möglich! Walter Dreyer wusste, dass das große Toteisloch im Feld an der Chaussee zwischen Wiepke und Waldau von manchem Einheimischen immer noch genutzt wurde, um Abfälle zu entsorgen, obwohl das mittlerweile streng verboten war. Da das Loch aber über Jahrzehnte legal als Müllkippe der Dörfer genutzt worden war, wirkten hier Gewohnheit und mangelndes Umweltbewusstsein in einer ärgerlichen Verbindung beständig fort.
»Wie lange stand das Auto denn da? Haben Sie darauf geachtet?«
»Nachm Frühstück wars weg«, wusste Kurz. »Hab mir nichts weiter bei jedacht.«
»Danke. Ich komme in den nächsten Tagen noch mal vorbei, wegen Ihrer Unterschriften unter mein Protokoll. Und falls Ihnen inzwischen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte«, sagte Walter Dreyer, insbesondere zu Kurz, versuchte aber auch Scholz in seine Verabschiedung mit einzubeziehen.
Walter wollte Ludwig Wenzel abfangen, um ihn zu fragen, wo die anderen beiden Zaunarbeiter heute eingesetzt waren. Er fuhr auf dem Feldweg zurück und traf kurz vor Wiepke auf das laut tuckernde Gespann. Der kleine Anhänger am Trecker war beladen mit Wasserkanistern, verbeulten Eimern und kleinen Blechfässern mit Holzschutzmittel. Außerdem hockten zwei von Wenzels spillrigen Söhnchen mit im Fahrerhaus und übten einen Blick, als wären sie schon große Jungen mit jeder Menge Erfahrung im Treckerfahren. Wenzel hielt an und stellte den Motor aus.
Die Ruhe war verblüffend. Im ersten Moment dachte Walter Dreyer, er sei taub geworden. »Hallo Jungs!«, begrüßte er die Kinder und sah, wie sie sich freudig anstupsten. Man wurde schließlich nicht jeden Tag von einem echten Polizisten gegrüßt!
»Tach«, sprang Wenzel vom Bock und fragte mit sichtlichem Interesse: »Na, wie lief ’s?«
Walter berichtete von Kurz’ Beobachtung.
»Ach, da steht immer mal jemand«, tat Wenzel den Skoda ab. Er hatte ihn nicht gesehen. »Da guck ich schon gar nich mehr hin.« Immerhin konnte er Walter Dreyer dann die benötigte Auskunft geben: »Die annern beiden sind heut im Hof, helfen in der Schlosserei.« Dann fuhr jeder seines Weges. Die beiden Kinder winkten Walter begeistert hinterher.
Der Hof der Genossenschaft in Wiepke war nicht groß und Walter Dreyer musste auf dem letzten freien Flecken parken. Hier und da erschienen Leute in Arbeitsklamotten, sahen kurz zu ihm rüber, doch niemand scherte sich um seine Ankunft.
Wo die Schlosserwerkstatt war, wusste Walter Dreyer. Dort traf er auch einige Männer beim Arbeiten an. Was die allerdings genau taten, war nicht zu erkennen. Weder ein reparaturbedürftiges Fahrzeug noch ein landwirtschaftliches Gerät waren zu sehen. Auch nach der Herstellung eines selbst gefertigten Ersatzteiles sah das hier nicht aus. Einer schweißte an etwas, das einmal der Flügel eines sehr breiten Gartentors werden könnte. Dem Geruch nach wurde irgendwo in der Nähe gelötet.
Über eine lange Werkbank hinweg blickte ein kräftig gebauter Mann mit total verschmutztem Gesicht, der sich offensichtlich beim Nieten scharfkantiger Stahlbleche gestört fühlte, Dreyer finster an und rief über die Schulter in den Raum: »Glatze, für dich.« Dann wartete er mit verächtlichem Blick, die stark behaarten Arme mit geballten Fäusten auf die Werkbank gestützt, was passieren würde.
Bedächtig erschien sein kleinerer, aber nicht minder stämmig wirkender Kollege, der seinen Spitznamen nicht
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