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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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auf meinem Gebiet, sogar international bekannt und, was vielleicht das Entscheidende ist, auch anerkannt. Ich bekomme eine gute Rente, dann die Professur ... Doch das Wichtigste war: Paul und ich konnten hier in Waldau, auf dem Gut unserer Familie, weiter leben, weitgehend unbehelligt von den Zeitläufen. Wir konnten forschen, wir konnten publizieren. Astrid hat hier ein Zuhause gefunden, nun auch Leon ... Ich will mich wirklich nicht beklagen.«
Judith Brunner staunte anerkennend: »Privilegierung gegen Forschungsergebnisse. Das ist kein schlechter Handel.«
»Richtig. Und er gilt bis heute. Mir gehört hier zwar nichts, aber ich fühle mich dennoch hier zu Hause. Mich bedrückt nur, dass Paul und Laurenz nicht mehr da sind.«

    ~ 16 ~
     
    Etwa zur selben Zeit an diesem Vormittag war Walter Dreyer mit dem Auto unterwegs, um die anderen Arbeiter, die an der Reparatur des Weidezauns beteiligt waren, zu befragen. Das Seitenfenster hatte er heruntergekurbelt; seine linker Arm hing lässig in der warmen Luft.
Wegen des nassen Wetters der letzten Wochen waren viele Arbeiten liegen geblieben und deswegen wurde mit Sicherheit der eigentlich arbeitsfreie Sonnabend von der Genossenschaft genutzt, um die Rückstände bei den Frühjahrsarbeiten aufzuholen. Auf dem Lande war das mit dem freien Wochenende für die meisten sowieso eine Illusion, denn zumindest das Vieh und die Gärten mussten immer versorgt werden, vom tagelangen Durcharbeiten in der Erntesaison ganz zu schweigen. Vielen altmärkischen Bauern war die Vorstellung, gar nichts zu tun zu haben, sowieso suspekt.
Walter Dreyer war also optimistisch, seine fehlenden Zeugen bei der Arbeit anzutreffen. Lisa Lenz hatte zu den vier Namen inzwischen nicht viel feststellen können. Zwei waren Familienväter, zwei Junggesellen. Von denen war einer vorbestraft; die Tat eines Jugendlichen und über zehn Jahre her. In seinem Lehrbetrieb waren Werkzeuge verschwunden; ihn hatte man erwischt. Dreyer seufzte. Das gab kaum etwas her.
Er versuchte es zuerst am Weidezaun und hatte richtig vermutet. Ludwig Wenzel fuhr auf seinem Trecker mit riesigem Getöse an ihm vorbei. Kurz stoppend, hob er grüßend die Hand und wies nach hinten. Was er dabei brüllte, hörte sich nach »Holz« und »Furz« an, doch Walter erinnerte sich nach einem kurzen Moment der Ratlosigkeit an seine Namensliste und ging davon aus, bald Achim Scholz und Manfred Kurz anzutreffen.
Wenig später sah er zwei Männer angestrengt an einem der großen Holzpfosten herumwerkeln. Neugierig blickten sie auf sein langsam fahrendes Auto. Augenscheinlich bot er einen willkommenen Vorwand, die Arbeiten zu unterbrechen. Dienstlich hatte er mit beiden noch nie etwas zu tun gehabt, doch wussten die hundertprozentig, wer er war.
Als Walter Dreyer sie grüßte und sich dennoch vorstellte, zogen beide fast synchron Zigarettenschachteln aus den Brusttaschen ihrer schwarzen, derben Latzhosen hervor und boten ihm eine an. Jetzt hatte er die Wahl zwischen Zigarette mit und ohne Filter.
Freundlich lehnte er ab. »Sie wissen sicher, was hier gestern los war. Haben Sie mit Ludwig Wenzel zusammen gearbeitet?«
Beide Männer nickten, blieben aber schweigsam.
»Können Sie mir dazu etwas sagen, Herr …?«, freimütig sah Walter Dreyer den korpulenteren der beiden an. Er machte den aufgeschlosseneren, friedlicheren Eindruck.
»Nö.«
»Denken Sie bitte nach. Es ist wirklich wichtig!« Manchmal half so ein Wink, die Leute tatsächlich zum Nachdenken anzuregen. Ihre Erinnerungen bekamen immerhin eine Bedeutung, was vielen schmeichelte. Es konnte aber auch dazu führen, dass die Zeugen ihrer Fantasie freien Lauf ließen, um dieser Bedeutsamkeit erst recht entsprechen zu können. Zumeist gelang es Dreyer mit seiner Erfahrung, den Unterschied zu erkennen.
»Der Manne merkt doch nie was«, teilte der drahtige Mann abschätzig mit. Das musste dann wohl Achim Scholz sein; mit Manne war sicher sein Kollege Manfred Kurz gemeint.
Walter Dreyer hatte den Eindruck, dass der die abfällige Einschätzung seines geistigen Horizonts recht gelassen hinnahm. Konnte man sich an solche Frotzeleien gewöhnen? Sollte man?
Wie um seinen Kollegen Lügen zu strafen, teilte Kurz dann stolz mit: »Ick hab aber wat jesehn!«
»Ach.« Walter Dreyer hörte man die Überraschung hinsichtlich dieser Behauptung offenbar an, denn Kurz bekräftigte: »Könnse gloom.«
»Verraten Sie mir auch, was Sie gesehen haben?«
»Unten, anner Straße nach Waldau, stand ne Karre.«
Walter

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