Giftweizen
sich Ahlsens bei ihr schon genug. Und dass er ihre Arbeit so genau einschätzen konnte, da hatte sie ihre Zweifel.
»Glauben Sie mir, ich kann das«, bekräftigte Ahlsens.
Als würde er auch noch ihre Gedanken lesen können!
»Ich vertraue Ihnen«, fuhr Ahlsens dann bedächtig fort, »und ich vertraue darauf, dass Sie das, was ich Ihnen nun erzähle, nur wenn nötig bei ihren Ermittlungen weitergeben. Es ist sehr, hm, persönlich.«
Das klang interessant. Und das Versprechen konnte sie ihm bedenkenlos geben – Judith hatte sich stets um Diskretion bemüht. Sie nickte zustimmend und lehnte sich wieder bequem zurück, um die Situation etwas zu entspannen.
Ahlsens begann: »Meiner Familie gehörte das hier alles einmal. Unsere Eltern waren vermögend, wie schon unsere Großeltern. Als die noch lebten, war das hier ein richtig herrschaftliches Anwesen. Wegen irgendeiner politischen Verärgerung im Zusammenhang mit der Reichsgründung hatte mein Großvater trotzig den Adelstitel abgelegt, und weder meine Eltern noch Paul oder ich konnten einen triftigen Grund erkennen, dem alten ›von‹ nachzutrauern. Es blieb bei Ahlsens, und die Gutswirtschaft und die anderen Unternehmen meiner Familie florierten weiter. Und nach dem Krieg – Sie wissen das ja sicher. Alles sollte sich ändern. Doch nicht das gesamte Bodenreformland ging in Privathand über; ein großer Teil verblieb beim Staat. So radikal und entschieden das Vorgehen auch im Einzelnen war, im Falle von Gut Waldau war es so: Ich kam mit meinem Bruder Paul aus dem Krieg zurück und wir durften bleiben. Und mit allem weitermachen. Uns blieben Haus, Hof, Park, Personal und – die Gärtnerei.«
»Weitermachen ... Womit?«
»Mit« – hier lächelte Botho Ahlsens sie freundlich an – »unseren Spezialkenntnissen, wie Sie es vorhin so treffend ausgedrückt haben. Wir waren anerkannte Fachleute für Pflanzenquarantäne und Pflanzenschutz.«
Judith gab sich keine Mühe, nicht überrascht auszusehen. Das war alles? Sie hatte irgendwie mit wesentlich brisanteren Enthüllungen gerechnet. »Pflanzenquarantäne. Dazu fällt mir gar nichts ein«, gab sie zu.
»Das ist auch keine jedem geläufige Aufgabe, aber dennoch von erheblicher Bedeutung. Ihr Ziel ist die Vermeidung der Verschleppung von Pflanzenkrankheiten und -schädlingen. Das erkläre ich jedenfalls meinen Studenten immer so«, entschuldigte er charmant seinen belehrenden Ton, bevor er unbeirrt mit dem Dozieren weitermachte: »In Deutschland hatten sich in der Kriegs- und Nachkriegszeit gefährliche Landwirtschaftsschädlinge erheblich ausgebreitet, etwa Motten in den Saaten oder, wesentlich bekannter, der Kartoffelkäfer. Manch einer vermutet dabei bis heute noch Sabotage, eine Form der biologischen Kriegsführung. In den Kriegsjahren war unser Fachgebiet völlig vernachlässigt worden und außerdem fehlten die entsprechenden Spezialisten. Viele, zu viele, waren im Krieg geblieben. Waren vor Kriegsbeginn in Deutschland etwa 400 Sachverständige für die Einfuhr und 650 Sachverständige für die Ausfuhr von Pflanzen und Pflanzenteilen tätig, gab es nun – gerade hier bei uns – nur noch eine Handvoll ausgebildeter Männer. Vor allem Paul, aber auch ich gehörten bald dazu.« Botho Ahlsens seufzte leicht und Judith Brunner vermutete, dass er in Gedanken bei seinem toten Bruder war.
Dann fuhr Ahlsens konzentriert fort: »Man konnte davon ausgehen, dass Deutschland nach der erheblichen Zerstörung und Demontage seiner Industrie in weit größerem Maße als zuvor an der Ein- und Ausfuhr von Pflanzenteilen interessiert war. Der Pflanzenbeschaudienst musste also zwingend wieder aufgebaut werden. Entsprechende Verordnungen waren zu erneuern, Anschauungsmaterialien und Vergleichspräparate mussten beschafft werden, optische Geräte, auch Chemikalien, etwa Begasungsmittel, und Gasschutzgeräte waren zu besorgen. Und: In der ganzen Region hier an der westlichen Grenze gab es davon nichts! Paul und ich wurden also beauftragt, diesen akuten Mangel zu beseitigen. Es gab allerdings keine geeigneten Räume für die Verwaltung und für eine einigermaßen sichere Untersuchungsstation – und deshalb schlug Paul den verantwortlichen Männern mit und ohne Uniform wohlüberlegt vor, unser Gut in Waldau dafür zu nutzen. Es bot unzerstörte Gebäude, war abgelegen genug für die damals übliche Heimlichtuerei zwischen den Besatzungsmächten, die Pflanzengifte waren einigermaßen sicher zu lagern und – es gab zwei Fachmänner.« Botho
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