Giftweizen
ohne Grund trug, hinter einem mit Ersatzteilen bestückten hohen Metallregal. Wie ein Spielzeug wirkte eine gewaltige Rohrzange in seiner rechten Hand. Er war eigentlich zu jung für einen Kahlkopf und Dreyer vermutete, dass er sich jeden Tag den Kopf rasierte. Der Mann blieb auf eine beunruhigend lauernde Art stehen, ohne auch nur im entferntesten einen Gruß anzudeuten. Er hielt einen Abstand zu Walter Dreyer, der es ihm problemlos gestatten würde, mit dem Werkzeug zuzuschlagen.
Ein weiterer Arbeiter mit vergleichbarer Frisur kam hinzu, steckte die Hände in die Hosentaschen seines Blaumanns, leckte sich provozierend die wulstigen Lippen und wippte leicht mit den Füßen auf und ab.
Der Schweißer kam von links, stellte sich zu den beiden anderen und schob sich seine Schutzmaske aus dem Gesicht. Auch er schien – wie die anderen Männer – einen Großteil seiner Freizeit mit Hanteltraining zu füllen. Keiner der vier sagte etwas.
Walter Dreyer kannte die Männer nur vom Sehen. Ohne Zweifel wollten sie ihn einschüchtern, was ihnen auch in gewisser Weise gelungen war. Er war auf der Hut und spürte, wie das Adrenalin sich in seinem Körper ausbreitete. Irgendetwas stimmte hier nicht. Wobei hatte er sie gestört? »Guten Tag. Ich bin von der Polizei«, stellte er klar.
Das schien dem Quartett allerdings bewusst gewesen zu sein, denn kurz grinsten sie sich wissend an.
Mit der Rohrzange klopfte der Muskelprotz mehrmals herausfordernd in seine freie Hand und sah Dreyer scharf in die Augen.
Walter Dreyer hatte keine Lust, seine Zeit mit diesen unangenehmen Typen zu verplempern. Solche Spielchen kannte er zur Genüge. Aber nicht zum ersten Mal ärgerte er sich, seine Dienstwaffe im Büro gelassen zu haben. Nicht, dass er sie hätte einsetzen wollen, trotzdem wäre ihm in dieser Lage damit wohler gewesen. Mit erzwungener Ruhe sagte er: »Es geht um Wenzels gestriges Erlebnis. Wer von Ihnen war in den letzten Tagen mit draußen am Zaun?«
Sofort entspannte sich die Situation. Irgendeine Gefahr schien gebannt, jetzt, wo klar war, was die Polizei hier wollte. Das Furcht einflößende Grinsen von zweien der Männer wich einem eher schadenfrohen Ausdruck. Sie fuhren mit ihrer Arbeit fort, und Walter Dreyer blieben der Schweißer und der Rohrzangenschwinger für seine Fragen.
»Ich möchte, dass Sie sich an die Arbeiten am Weidezaun erinnern. Wann sind Sie immer los? Wie waren die Fuhren? Haben Sie was gesehen?«
Das waren drei Fragen, von Dreyer als Anregung gedacht, und damit offenbar mindestens zwei Fragen zu viel. Das Desinteresse in den Gesichtern der Landarbeiter wich einem breit gezogenen »Hä?«.
»Na, wie läuft so ein Arbeitstag ab?«
»Wir sind immer um sieben aufm Hof hier«, kam die Antwort vom Schweißer.
»Schön«, lobte Walter Dreyer, »darf ich fragen, wie Sie heißen?«
»Jürgens, Michael Jürgens.« Es klang fast so, als staune der Mann über seinen eigenen Namen.
»Was war dann?«
»Na, wir haben das Zeugs aufgeladen und sind dann mit dem Wenzel los. Halb acht, oder so.«
»Jeden Tag?«
»War’n doch erst zwei«, bemerkte der mit der Rohrzange, um sich auf Walter Dreyers fragenden Blick hin vorzustellen: »Willi Hartmann.«
»Hm. Sie sind also an beiden Tagen, Donnerstag und Freitag, etwa zur gleichen Zeit am Ferchel gewesen.«
Jürgens und Hartmann nickten.
»Haben Sie jemanden gesehen?«, versuchte es Walter Dreyer erneut.
»Nur wir.«
»Oder fiel Ihnen ein Auto auf, ... vielleicht ein anderes Fahrzeug, so etwas?«
Die Männer verneinten im Chor.
Walter Dreyer verließ, ohne ihnen den Rücken zuzuwenden, grußlos die Werkstatt. Ihm fiel einfach nichts ein, wofür er sich bei diesen Kerlen hätte bedanken können.
~ 17 ~
Der Besuch bei Botho Ahlsens war außerordentlich aufschlussreich gewesen. Judith hatte es schon immer als eine der angenehmeren Begleiterscheinungen ihres Berufes empfunden, bei den polizeilichen Ermittlungen auf ungewöhnliche Menschen zu treffen. Deren Lebensgeschichten gefielen ihr natürlich nicht immer, besonders wenn sie irgendwann in einer Katastrophe endeten. Dennoch faszinierten sie die Entscheidungen, die die Menschen in Momenten trafen, in denen sie die Wahl hatten. Oder wählen mussten, je nach den Umständen. Die Ahlsens hatten sich damals nach dem Krieg für ihre Heimat, ihr Zuhause entschieden. Durchaus nachvollziehbar, fand Judith.
Ihr war eigentlich nach einer kleinen Pause zumute, so viele Informationen waren zu verarbeiten. Der Anruf von Dr. Renz, Botho
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