Giftweizen
Sahne und einen Teller mit dunklen Pralinen dazu und fragte Hella Singer dann mit überraschend tiefer und warmer Stimme: »Brauchst du noch was?«
»Erst mal nicht, Anneliese, danke. Nachher wollte Meta noch vorbeikommen.«
Der gute Geist verschwand und Judith Brunner begann, während Hella Singer ihnen Kaffee einschenkte: »Ich weiß, dass Sie gerade Ihren Mann verloren haben. Und ich wünschte, ich müsste nicht zu Ihnen kommen und Sie stören. Doch es ist etwas geschehen, das wir nur mit Ihrer Unterstützung aufklären können.«
»Dann hoffe ich, Ihnen helfen zu können«, meinte die Witwe ahnungslos.
Judith Brunner baute vor: »Ich habe keine guten Nachrichten.«
Hella Singer stützte ihre Arme auf, legte die Stirn langsam auf beide Hände und sah auf die Tischplatte. Dann sagte sie mit hoffnungsloser Stimme: »Mein Mann ist tot, Frau Brunner. Er war die Liebe meines Lebens und ist ohne erkennbaren Grund, ganz plötzlich, von mir gegangen. Was soll jetzt noch Schlimmes kommen?«
Judith spürte schlagartig, wie sich ein stählernes Band um ihre Brust zog und sie fast panisch wurde bei dem Gedanken, Walter so jäh zu verlieren. Ihr Herz setzte erst kurz aus und dann pochte es rasend in ihr. Sie bekam kaum Luft. Ihr Nacken wurde eiskalt. Eine so intensive Angst hatte sie noch nie gefühlt. Der Gedanke an ein Leben ohne Walter war so unerträglich, dass ihr alles wehtat. Judith versuchte, sich wieder zu beruhigen, und hoffte, dass ihr das einigermaßen gelang. Sie konzentrierte sich und atmete tief ein und aus. Sie musste sich zwingen, dieses belastende Gespräch bis zum Ende durchzuhalten, noch ehe es begonnen hatte. Glücklicherweise hatte Hella Singer nicht aufgesehen und von ihrer Panikattacke nichts bemerkt.
Mit heftigem, doch wieder regelmäßigem Herzschlag begann Judith dann zu reden: »Gestern Morgen sollte die Ursache für den plötzlichen Tod Ihres Mannes gefunden werden.« Sie vermied es, die Obduktion beim Namen zu nennen.
Hella Singer sah auf. »Ja, ich weiß.«
»Frau Singer, Ihr Mann war nicht mehr da. Die Untersuchungen konnten noch nicht stattfinden.«
»Nicht mehr da? Was meinen Sie damit?«
»Nun, der Leichnam Ihres Mannes fehlte. Der untersuchende Mediziner hat das gestern Vormittag festgestellt.«
Ungläubig sah Hella Singer sich in ihrem Wohnzimmer um, als müsse sie prüfen, ob das Gespräch in der Realität stattfand. Die Nachricht war einfach zu schwer zu begreifen. Dann fragte sie nach: »Sie meinen, mein Mann ist nicht mehr im Krankenhaus?«
Judith Brunner bestätigte das.
»Wo kann er sein? Wurde dort etwas verwechselt und er liegt schon woanders?« Hella Singers Stimme versagte fast.
»Wir suchen ihn, glauben Sie mir bitte. Doch das ist leider noch nicht alles«, versuchte Judith Brunner, Eduard Singers Witwe auf das Kommende vorzubereiten. »Gestern Vormittag wurden im Wald zwischen Waldau und Wiepke, am Ferchel, zwei Hände gefunden. An der rechten Hand fehlten einige Fingerglieder.«
Eine böse Ahnung ergriff Hella Singer. Ihr Mienenspiel drückte wachsendes Entsetzen aus. »Mein Gott!«, entfuhr es ihr. »Sie haben Eduards Hände, aber ihn nicht?!«
Als Judith Brunner bedauernd nickte, drang ein erschütterndes Stöhnen aus Hella Singers Kehle und sie schlug sich die Hände vors Gesicht.
Judith Brunner konnte ihr nicht helfen. Sie musste warten, sorgenvoll, bis die trauernde Frau ihre Fassung wiedergewonnen hatte.
»Können Sie sich vorstellen, warum man Ihrem Mann so etwas angetan hat oder wer dahinter stecken könnte?«, fragte Judith Brunner leise.
Ein zittriges Kopfschütteln war die Antwort. Aber dann konnte Hella Singer wenigstens noch ein paar allgemeine Angaben über sich und ihren Mann machen, obwohl ihr das Reden weiterhin schwerfiel.
Judith Brunner beendete das Gespräch und verabschiedete sich.
Es war wieder still im Haus.
~ 18 ~
Auf dem Rückweg von Breitenfeld nach Gardelegen entschloss sich Judith, in Waldau haltzumachen. Jetzt hatte sie die Pause dringend nötig. Insgeheim hoffte sie, Walter in seinem Büro anzutreffen, um sich überzeugen zu können, dass es ihm gut ging. Sie wollte ihn berühren, seine Haut fühlen und ihn festhalten. Doch Walter war nicht da. Ihre Angstattacke beunruhigte sie immens, zumal der Druck auf ihrer Brust bisher kaum nachgelassen hatte. Vielleicht half ein warmer Tee in vertrauter Umgebung?
Sie schloss das Auto ab und lief die paar Schritte zum Haus.
Laura saß in der Küche am Tisch, auf dem Wilhelmina zwischen einigen
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