Giftweizen
Händen ergeben könnten. »Insofern ist die Idee von einer Botschaft möglicherweise gar nicht so weit hergeholt«, lenkte sie jetzt vorsichtig in Dr. Gredes Richtung.
»Vielleicht war der Singer ein Dieb? Oder hat jemandem körperlichen Schaden zugefügt? Verkehrsunfall mit Fahrerflucht oder so etwas. Den falschen Leuten die Treue geschworen. Oder, oder ... Meine Güte! So viele Motive hatten wir ja noch nie«, staunte ihr Stellvertreter.
»Das mit den Dieben habe ich gewusst«, versuchte Ritter, seine begrenzten Kenntnisse bezüglich abgehackter Hände auszuspielen.
Judith Brunner musste schmunzeln, genau das hatte sie Laura auch erzählt. Wahrscheinlich wusste kaum jemand mehr. Und wenn doch? Mussten sie einen Täter suchen, der Kenntnisse in Symbolik hatte und diese auch bis zur letzten Konsequenz anwandte? Ein schauerlicher Gedanke, den sie lieber nicht zu Ende dachte und statt dessen auf die möglicherweise verwendete Munition für die Schusswunden an der unbekannten Leiche zurückkam.
Thomas Ritter musste auch hierbei seine Skepsis kundtun: »Steinsalz allein ist schon eigenartig genug, aber dann noch vergiftetes?«
»Bisher ist Gift nur eine Vermutung«, bremste Judith Brunner seine Bedenken.
Dr. Grede meinte: »Der Tote sollte also damals nicht einfach sterben, sondern er sollte mächtig leiden.«
»Wäre möglich.« Judith Brunner notierte sich diesen Aspekt. Es gab noch zu viele offene Fragen. Zu guter Letzt informierte sie ihre Mitarbeiter über das Gespräch mit der Witwe: »Für Hella Singer war es schwer, die Nachrichten vom Verschwinden und der Verstümmelung des Leichnams ihres Ehemannes zu verkraften, doch nach ein paar Minuten hatte sie sich gefangen und bekundete ihren Willen, uns bei den Ermittlungen zu helfen. Sie hat mir erzählt, dass sie fast dreißig Jahre verheiratet waren. Er war Lehrer an der Schule in Estedt, sie hat früher in Klötze im Kurzwarenladen gearbeitet und ist schon seit einigen Jahren Hausfrau. An einem Leben mit Kindern war ihnen nicht gelegen. Sie hatten ein schönes Zuhause und waren zusammen glücklich.« Judith Brunner musste tief durchatmen. »Hella Singers Verfassung war jammervoll.«
»Verdammt! Bin gleich wieder da«, schimpfte Lisa Lenz leise. Das Telefon in ihrem Zimmer hatte zu läuten begonnen und sie lief rasch hinüber. Die anderen warteten geduldig und blätterten in ihren Unterlagen. Nach einigen Minuten kam Lisa wieder, mit Notizen in der Hand. »Das war Walter Dreyer. Die Friedhöfe in Breitenfeld und Waldau sind in Ordnung, er fährt morgen die anderen in den Nachbardörfern ab. Und er ist mit den Befragungen der Zaunarbeiter fertig. Die Protokolle schreibt er noch heute; wir bekommen alles dann morgen.«
»Und was hat er rausgefunden?«, wollte Ritter wissen.
Judith hatte Mühe, ihre Erleichterung über Walters offenbares Wohlbefinden zu verbergen. Sie verfolgte Lisas Bericht nur äußerst unkonzentriert. Wann würde sich ihre Unruhe wieder legen?
Lisa sagte gerade: »Als Dreyer in die Werkstatt in Wiepke kam, war der Argwohn wohl mit Händen zu greifen, irgendwie befürchteten die, er erwische sie, wobei auch immer. Und gewusst haben die gar nichts.«
»Oder die haben einfach nichts gesagt. Diese Typen! Machen auf dicke Hose und schrauben in den Werkstätten ständig an irgendwas Privatem rum«, war Thomas Ritter sich sicher. »Ich bin immer heilfroh, dass ich mich an so was Handfestem wie den Spuren abarbeiten kann. Zeugen vernehmen? Nein danke! Die sind bockig oder erzählen einem, im Himmel sei Jahrmarkt.«
»Na, ganz so schlimm ist es nicht«, schränkte Judith Brunner gelassen ein, »es gibt auch brauchbare Zeugen ... Also, ich fasse zusammen: Wir suchen einen braunen Skoda, der am Mittwoch früh bis zehn Uhr an der Zufahrt zur alten Müllkippe gehalten hat. Lisa, Sie kümmern sich bitte um eine Liste der Fahrzeughalter, erst einmal nur die mit den hiesigen Kennzeichen. Außerdem müssen wir die Identität des Unbekannten endlich klären. Vielleicht sollten wir mehr Leute auf die Friedhöfe schicken. Und um Singers Vergangenheit müssen wir uns gründlicher kümmern! Wir brauchen ein Motiv! Woher sollen wir sonst Verdächtige nehmen?«
»Ich bleibe bei Rache«, beharrte Dr. Grede.
~ 21 ~
Laura Perch nutzte den Nachmittag für einen Rundgang durch Waldau. Es wurde höchste Zeit! Immerhin war sie schon über einen Tag da und hatte noch nichts vom Dorf gesehen. Sie mochte diese Spaziergänge, besonders den ersten. Man traf immer Leute und
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