Giftweizen
brauchte nur ein paar Sätze zu schwatzen, um automatisch wieder auf dem neuesten Stand des Dorfklatsches zu sein. Außerdem konnte man sehen, was es an Veränderungen gab, wer sein Haus renoviert oder seinen Garten umgestaltet hatte. Laura begrüßte die Hunde der Nachbarn und entdeckte ab und zu auch eine faule Hofkatze, die in der Sonne döste.
In der Gärtnerei des Gutes hatte sich wirklich allerhand getan! Laura staunte. Leons Engagement nahm bereits Konturen an. Die Gewächshäuser hatten mit ihren roten Ziegeln, den reparierten Klappfenstern im Dach und einigen neuen Sprossenfenstern neben den Eingangstüren ihren altertümlichen Charme zurückerhalten. Der sichtbare Verfall war gestoppt.
Laura betrat das Gewächshaus, dessen Tür weit offen stand. Ob Leon da war? Tatsächlich hörte sie auf einmal ein extrem lautes Geräusch von schabendem Metall und dann einen dumpfen Knall; der Fußboden vibrierte. Sie hörte einen kurzen Schrei.
Und dann wurde herzhaft geflucht: »Au! Verdammter Mist!«
Irgendetwas polterte über den Ziegelboden.
Laura eilte in Richtung der Erschütterung und rief: »Hallo! Ist was passiert?« Nach wenigen Schritten sah sie Leon in einer sich langsam verziehenden, dichten Staubwolke stehen.
Er hielt sich die Seite und sah sich erschrocken um. »Ach, du bist es. Grüß dich. Komm bloß nicht näher!« Leons Stimme klang rau; der Staub machte ihm das Reden schwer.
»Bist du verletzt?«, fragte Laura besorgt. Sie sah, dass ein meterlanges Stahlprofil der alten Bewässerungsanlage abgeknickt und aus ziemlicher Höhe auf einen großen Schutthaufen gefallen war. Ein verbogener, rostiger Bolzen hielt es an einer Stelle noch oben, und das war wohl Leons Rettung gewesen.
»Nein. Ich denke nicht. Ich wollte noch zur Seite springen, als ich das Ding kommen sah. An diesem blöden Teil da bin ich hängen geblieben«, deutete er auf eine verbeulte, auf der Seite liegende Schubkarre. »Ich habe mir sicher nur was gezerrt.« Er kam langsam auf sie zu und massierte sich dabei eine schmerzende Stelle am Rücken. Gerade als Laura anbieten wollte, einmal nachzusehen, ob wirklich nichts Ärgeres passiert war, hörten sie den Bolzen bersten und sprangen im letzten Moment beiseite. Nun krachten gleich mehrere Stahlprofile und Rohre herab.
»Es ist wohl besser, wir räumen schleunigst das Feld«, brachte Laura, röchelnd unter Leon liegend, hervor.
Sie rappelten sich auf und blickten entsetzt auf den Schaden.
Laura fühlte einen dumpfen Schmerz und merkte, wie an ihrem Hinterkopf eine Beule wuchs, und Leon hatte am Unterarm eine blutende Schürfwunde davongetragen. Sie betrachteten gegenseitig ihre Verletzungen und versicherten sich dann, noch einmal glimpflich davongekommen zu sein.
»Dass es so schlimm um die alte Anlage steht, hätte ich nicht gedacht«, meinte Leon niedergeschlagen. »Berger hat auch nichts bemerkt, sonst hätte er mir was gesagt.«
»Du musst ihm sofort Bescheid geben«, war Laura um die Unversehrtheit des betagten Gärtners vom Gut besorgt.
»Keine Bange, der ist für ein paar Wochen zur Kur. Bis der wiederkommt, habe ich den Schlamassel hier im Griff«, beruhigte Leon sie. Er sah wieder abwägend nach oben.
Ein paar Quadratmeter Glas drohten, ebenfalls noch herabzustürzen.
»Wir müssen das Gewächshaus absperren. Kannst du mir helfen, oder tut dein Kopf zu sehr weh?«, fragte er Laura.
»Das wird schon gehen. Komm, stellen wir erst einmal einen der langen Tische vor die Tür.«
Sie schleppten den Pflanztisch raus, Leon verriegelte die Tür und sie schoben den schweren Tisch davor. »Müsste eigentlich ausreichen, zumindest, dass die Kinder nicht mehr zum Spielen reinrennen können«, meinte Leon, den Absperreffekt einschätzend.
»Soll ich dich nicht lieber zu einem Arzt bringen?«, fragte Laura.
Leon lehnte tapfer ab: »Wegen dem bisschen? Das kann ich mir alleine abwaschen. Elvira bekommt sonst noch Angst um mich; das kann ich nicht brauchen.«
Laura rührte seine Rücksicht. »Ich bestehe aber darauf, dir beim Verbinden zu helfen. Zieh danach einfach was Langärmeliges an und niemand sieht es. Einverstanden?«
Auf diesen Vorschlag ließ sich Leon bereitwillig ein.
~ 22 ~
Walter und Judith saßen, in dicke Pullover gehüllt, auf der Bank hinter Walters Haus im nachtdunklen Garten. Hier waren sie vor fremden Blicken geschützt.
Nur Wilhelmina leistete ihnen Gesellschaft. Um das Geheimnis der beiden als Erste wissend, hatte sie von Beginn an die nächtlichen Besuche zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher