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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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Bewohnern der Nachbarhäuser aufmerksam verfolgt. Jetzt hatte sich die Katze diskret zurückgezogen und lag unter einem Forsythiabusch, ohne die beiden auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen.
Judith hatte Walter vor einer guten Stunde, unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Gardelegen, unter einem dienstlichen Vorwand aufgesucht und ihn kurz über die Ergebnisse des Tages ins Bild gesetzt. Dann, schon nach wenigen Sätzen, hatte sie plötzlich das Bürolicht gelöscht, Walter geküsst und ihn fordernd in sein Schlafzimmer gezogen. Walters Gegenwehr beschränkte sich auf das Heben einer Braue. Schnell rannte er noch einmal in den Flur und schloss die Haustür ab. Und obwohl er sich über die Spontanität von Judiths heftiger Erregung zunächst wunderte, ließ er sich nichts anmerken und genoss ihren berauschenden Sex. Er spürte, dass sie ihn heute mit noch größerer Leidenschaft liebte, und bedankte sich dafür mit seiner ganzen Sinnlichkeit und Kraft.
Danach wollte Judith Walters Berührungen noch ein wenig nachspüren und sie setzten sich mit ausreichend wärmenden Getränken zusammen in die Nacht.
Walter zog Judith an sich und fragte leise: »Ist alles in Ordnung mit dir?« Sie war blass und er bemerkte die dunklen Ringe unter ihren Augen. Irgendetwas musste heute geschehen sein, sagte ihm sein Gefühl.
Judith wollte ihn aber nicht belasten und entschied, Walter vorerst nichts von ihrer erschreckenden Angst zu erzählen. Sie wusste selber noch nicht, was da mit ihr passiert war. Vielleicht verschwand die Enge in ihrer Brust irgendwann einfach wieder. »Du bist hier, bei mir. Alles ist gut«, flüsterte sie und küsste ihn auf die Schläfe.
Walter hielt sie sanft am Kinn fest und sah ihr in die Augen. »Du kannst mir alles anvertrauen, das weißt du.«
Judith geriet in eine Stimmung, in der sie fürchtete, gleich loszuschluchzen. Sie hatte Mühe, die Tränen wegzublinzeln und hoffte, dass Walter das in der Dunkelheit nicht bemerkte. »Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich in diesem Moment liebe?«, fragte sie statt einer Antwort, denn das war genau das, was sie fühlte.
Walter küsste sie sanft auf den Mund, hielt sie fest umschlungen und ließ es für den Moment auf sich beruhen. Welche Dämonen musste er vertreiben?
Lange Minuten später fragte Judith ihn zwischen zwei Schlucken von ihrem schweren Rotwein: »Hast du eigentlich gewusst, wer Botho Ahlsens wirklich ist?«
Er verstand, was sie meinte. »Ja, habe ich. Botho Ahlsens ist ein Pflanzenschutzexperte, der nach Kriegsende hier im Land benötigt wurde. Und er ist wohl bis heute eine internationale Kapazität, was sein Spezialgebiet angeht.« Walter war irgendwie erleichtert, dass Judith ihm keine Vorhaltungen machte, ihr nie davon erzählt zu haben. Außerdem hatte er angenommen, dass sie vor ihrer Versetzung hierher über die Ahlsens genauer unterrichtet worden sei. So viele Sonderbehandlungen gab es in der Altmark ganz sicher nicht.
»Interessanter Mann«, fand Judith. »Hat er es dir selbst erzählt?«
»Nein, zumindest nicht früher. Als ich damals in Waldau als Ortspolizist anfing, wurde ich beim Kreis instruiert, auf dem Gut ab und zu nach dem Rechten zu sehen. Die Brüder Ahlsens seien enorm wichtige Leute, denen man vonseiten des Staates Obhut angedeihen lassen müsse. Ich sollte mitteilen, wenn die Ahlsens irgendwelche Probleme hätten, welche Besucher kamen, wie die Stimmung im Dorf war ... Ich erfuhr damals keine Hintergründe, empfand das ganze Konstrukt jedoch als einigermaßen seltsam. Ich hatte aber nie einen Grund, meine Berichtsinstruktionen allzu ernst zu nehmen. Das lag mir nicht – bis heute gibt es nicht einmal eine Notiz über das Gut von mir.«
Das stand für Judith außer Zweifel. »Und wann hat Ahlsens dir dann was erzählt?«
»Letztes Jahr.« Ahlsens hatte sich Walter Dreyer bei einem langen Spaziergang, der sich einer zufälligen Begegnung anschloss, anvertraut. Er hatte ihm seinerzeit versprechen müssen, das Gespräch für sich zu behalten.
»Mir hat er heute davon erzählt. Wie es ihm und seinem Bruder gelungen ist, hier ein Leben für die Wissenschaft zu führen. Das geht mir ziemlich nahe, diese selbst auferlegte Marginalisierung, nur um in der Heimat bleiben zu können.«
»Na, nun mach mal halblang! Was hat Ahlsens dir denn erzählt? Ein Leben für die Wissenschaft?! So schlimm hat es die beiden ja wohl nicht getroffen«, relativierte Walter lächelnd Judiths Mitgefühl. »Es geht ihnen doch bestens hier.

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