Giftweizen
gelassen: »Das wird schon noch. Aber ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, was in der Angelegenheit sicher hilfreich ist.«
»Na?«
»Der Mann starb an einer Vergiftung! Erst heute Mittag hatte ich die nötigen Untersuchungsergebnisse beisammen.«
Ein unnatürlicher Tod? »Auch das noch! Und was für ein Gift war es?«
»Das habe ich noch nicht identifizieren können, es kann auch noch ein Weilchen dauern. Wir testen alles Mögliche. Zunächst habe ich mit dem Wahrscheinlichsten angefangen, also Medikamenten oder Schädlingsbekämpfungsmitteln. Hier auf dem Lande gibt es allerhand Gifte; Landwirtschaft geht ja kaum noch ohne heutzutage. Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich etwas Genaueres weiß.«
»Danke«, schloss Judith Brunner das Telefonat und eilte in den Besprechungsraum zurück.
»Hören Sie: Es liegt womöglich ein Mordopfer im Krankenhaus! Unser Unbekannter wurde vergiftet«, teilte sie ihren Mitarbeitern gleich die Neuigkeit mit. »Das verleiht dem Fall eine völlig neue Dimension.«
»Vergiftung! Vielleicht war es ja auch ein Selbstmord?«, gab Grede – wohl eher der Vollständigkeit halber – zu bedenken.
Er erntete umgehend Ritters Widerspruch: »Nee, nee. Der wird sich wohl kaum vergiftet und dann dafür gesorgt haben, dass er beim Renz auf dem Tisch landet. Das war Mord – nix anderes! Gab’s auch was Neues zu den abgetrennten Händen?«
Judith Brunner schüttelte den Kopf; sie ließ sich nicht ablenken.
Lisa wirkte etwas ratlos: »Wo kam der nur her? Keiner hat einen Vermissten gemeldet!«, und ergänzte mehr für sich selbst: »Warum fehlt der Mann bloß niemandem?«
Die Hauptkommissarin nahm die Frage dankbar auf: »Wir hatten doch schon vermutet, dass der Unbekannte absichtlich ins Krankenhaus gebracht wurde, er sollte genau dort untersucht werden. Jetzt wissen wir auch, warum. Die Vergiftung sollte entdeckt werden! Und derjenige, der ihn dahin gebracht hat, vermisst ihn nicht. Er weiß ja, wo er liegt.«
»Frisch gewaschen«, erinnerte Grede an Dr. Renz’ Worte. »Und das war gewiss nicht sein Mörder!«
Judith Brunner nickte. »Richtig. Und warum sollten Verwandte oder Bekannte, die ihn gefunden und einen Suizid vermutet haben, dem Krankenhaus den Mann unterschieben wollen? Eine rechtsmedizinische Untersuchung hätte der Arzt, der den Totenschein ausstellen würde, nach einem entsprechenden Hinweis ohnehin veranlasst. Also, wenn wir alles bedenken – die Schusswunden, die Fundsituation, den verschwundenen Leichnam Eduard Singers und das Wiederauftauchen seiner Hände – sollten wir von einem Verbrechen ausgehen.«
»Und von einem Mörder könnten wir auch nicht verlangen, dass er sein Opfer als vermisst meldet«, schloss Ritter, sich zu Lisa wendend, an.
Dr. Grede stimmte den Argumenten, die für einen Mord sprachen, bereitwillig zu und meinte nachdenklich: »Vergiftung, hm. Interessant. Aber nicht jeder kommt an Gift so einfach ran, oder?«
»Pflanzen!«, hatte Lisa Lenz gleich einen Vorschlag parat. »Meine Oma hat mich immer vor den Eiben gewarnt, ich dürfte die Kerne der Beeren auf keinen Fall essen. Oder Eisenhut, ganz lebensgefährlich! Haben viele Leute aber im Garten. Oder Pfaffenhütchen. Ein wunderhübscher Strauch! Da reichen zwanzig Samen, und man stirbt.«
Ihre Kollegen sahen Lisa verblüfft an, welch reiche Auswahl an Giften sie ihnen hier offerierte.
Doch die schien das Staunen nicht zu bemerken und zählte weiter auf: »Und Pilze natürlich, da gibt es etliche. Oder Schierling. Die jungen Blätter kann man leicht mit Petersilie oder Möhrenkraut verwechseln, gerade jetzt im Frühling. Alles kann tödlich sein.«
Mit der Andeutung eines Lächelns zwinkerte Judith Brunner ihrer jungen Mitarbeiterin zu. »Ein Hobby von Ihnen?«
»Nein, nur normales Familienwissen. Meine Oma, meine Mutter, die Tanten, na, Sie wissen schon.«
Offenbar hatte niemand sonst am Tisch eine derart giftkundige Verwandtschaft.
Für Lisa schien es allerdings selbstverständlich, Kenntnisse von Pflanzengiften zu haben, sie amüsierte sich eher über das Nichtwissen der anderen: »Was machen Sie denn für Gesichter? Der Kuchen hat doch geschmeckt, oder? Und meinen Kräutertee haben Sie bis jetzt immer überlebt. Ist nämlich die bewährte Hausmischung meiner Mutter«, sah sie Dr. Grede arglos an.
Der blickte so erschrocken in seinen Becher, dass alle laut lachen mussten. Dann stimmte er ein, prostete Lisa zu und nahm demonstrativ einen Schluck.
»Die Leute haben hier doch alle irgendwelchen Giftkram
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