Giftweizen
Pathologie angesehen haben. Wir würden bestimmt herausbekommen, seit wann die Unterlagen in Ihrem Büro lagen.«
»Guter Ansatz, denn schon beim Vergleich der Leiche mit den Angaben, die mir, wer auch immer, telefonisch gemacht hatte, wurde ich stutzig.« Dass mit dem Leichnam immerhin auch ein Mordopfer ins Krankenhaus gebracht worden war, behielt Dr. Renz für sich. Er hatte nicht den Eindruck, dass dieser Fakt im Moment hilfreich gewesen wäre.
»Und was machen wir nun?«, wollte Dr. Carow tatendurstig wissen.
»Ich rufe bei der Polizei an. Die werden sich freuen, von Ihrem Doppelgänger zu hören«, war Dr. Renz überzeugt, blickte aber daraufhin wieder unzufrieden auf seinen Zettel, der immer noch keinen möglichen Kandidaten enthielt. »Sicher könnten die Kriminalisten die namentliche Aufstellung aller Männer des Krankenhauses, die zeitlich für den Anruf und den Leichentausch infrage kommen, gut gebrauchen.«
Dr. Carow hielt es nicht mehr in seinem Sessel. »Geben Sie mal den Stift und das Blatt Papier her. Die Ärzte und Studenten kann ich Ihnen sofort aufschreiben, die kriege ich aus dem Kopf zusammen. Die Schwestern und Reinigungskräfte sind alles Frauen, entfallen also automatisch. Wobei ...« Dr. Carow hielt inne.
»Ja?«
»Eine der Frauen könnte dem Anrufer die Informationen auch völlig ahnungslos gegeben haben oder war Komplizin oder so?«
Nun musste Dr. Renz lachen. »Schon möglich. Doch lassen Sie ruhig der Polizei noch etwas für ihre Ermittlungen übrig.«
~ 32 ~
Judith Brunner und Lisa Lenz hatten gleich am Morgen begonnen, das Besprechungszimmer wieder zu einer Ermittlungszentrale umzubauen. Bei einer Mordermittlung war es sehr hilfreich, einen zentralen Raum zu haben, wo sämtliche Informationen zusammenliefen und für alle Beteiligten jederzeit zur Verfügung standen.
Jüngst hatte Judith weitere rollbare, magnetische Schreibtafeln angeschafft und nun konnten sie damit übersichtlich ihren aktuellen Arbeitsstand abbilden. Zwei Telefone, auf die sie Lisas und ihre Leitung schalten konnten, und ein Kopierer ergänzten die Ausstattung des Raumes.
In der Bezirksbehörde und bei der Staatsanwaltschaft gab es sogar schon einige Personalcomputer, doch bis in die Gardelegener Dienststelle der Volkspolizei war die neue Technik noch nicht vorgedrungen. Immerhin sollten im nächsten Jahr PC-Schulungen beginnen, allerdings vorerst nur für wenige Mitarbeiter. Judith Brunner wollte ein andermal intensiver darüber nachdenken, wen sie delegieren würde. Ob es wenigstens genügend Freiwillige gab? Die meisten Leute mokierten sich über die Computer, ohne je mit einem gearbeitet zu haben. Sie erinnerte sich an den Aufstand der Schreibkräfte, als vor einigen Jahren in der Bezirksbehörde die ersten elektronischen Schreibmaschinen zum Einsatz kamen, mit Textspeicher und Korrekturmöglichkeit. Erst wollte niemand eine haben, und dann konnte es den Damen nicht schnell genug gehen, eine benutzen zu können. Es wurde für eine geraume Zeit sogar zum Statussymbol, eine elektronische Schreibmaschine im Vorzimmer zu haben! Würde sich dasselbe Theater bei den Computern wiederholen? Wie Judith Brunner die Verwaltung kannte, war davon auszugehen. Aber noch musste es auch ohne die neuen Hilfsmittel gehen.
Die Identifizierung des Leichnams als Otto Holl und die Tatsache, dass er ein Giftopfer war, hatten alles geändert.
Lisa Lenz heftete gerade die am Ferchel gemachten Fotos und Skizzen zum Fundort der Hände an die Tafel, eine Skizze von Botho Ahlsens Wanderweg und eine grobe Geländedarstellung des Weges, der Felder und der Müllkippe bis hinunter zur Straße nach Wiepke. Sie wollte dann aus den Zeugenaussagen einen Zeitstrahl entwickeln und als Grafik am oberen Rand hinzufügen.
Judith Brunner hatte es übernommen, die Personentafeln zu den Toten zu bestücken.
Zu Eduard Singer hatten sie die Porträtaufnahme, die sie von Hella Singer erbeten hatte, die Fotos seiner Hände, einiges aus den Patientenunterlagen. Judith schrieb mit Kreide eine kurze Biografie daneben: Jahrgang 1915, Chemiestudium, Lehrer, verheiratet mit Hella Singer, aus Breitenfeld, eingeliefert ins Krankenhaus am letzten Donnerstag, am selben Tag verstorben. Das war nicht viel.
Zu Otto Holl gab es nicht wesentlich mehr. Ein Foto seiner Leiche, Nahaufnahmen seines Leibes mit den vernarbten Schussverletzungen. Sie notierte: Schwerkrimineller, Vergewaltiger seiner Schwester. Ermordet vor etwas mehr als einer Woche.
In aller Frühe war Judith
Weitere Kostenlose Bücher