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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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bewahren, denn die überschäumende Energie erschöpft einen und überschwemmt
die Welt mit Worten statt mit Gelassenheit, Frieden und Wonne. Swamiji, der Guru
meiner Meisterin, nahm es mit der Stille im Ashram sehr genau, verschaffte ihr
nachdrücklich Geltung. Als einzig wahre Religion bezeichnete er das Schweigen.
    Also beschließe ich, fortan nicht mehr das Party-Häschen
dieses Ashrams zu sein. Schluss mit dem Herumrennen, dem Tratsch und den
Witzeleien. Ich muss weder im Rampenlicht stehen noch sämtliche Gespräche an
mich reißen. Oder für ein bisschen Bestätigung verbale Stepptänze aufführen. Es
wird Zeit, dass ich mich ändere. Jetzt, wo Richard weg ist, werde ich den Rest
meiner Zeit im Ashram zum Schweigen nutzen. Das wird schwierig werden, aber
nicht unmöglich sein, weil Schweigen im Ashram von allen respektiert und die
Entscheidung des Einzelnen als Akt religiöser Hingabe verstanden wird. Im
Buchladen verkaufen sie sogar kleine Buttons mit der Aufschrift »Ich schweige«.
    Ich werde mir vier Buttons kaufen.
    Auf der Rückfahrt zum Ashram schwelge ich tatsächlich
kurzzeitig in der Vorstellung, wie still ich
demnächst sein werde. So still, dass ich mir sogar einen gewissen Ruhm damit
erwerben werde. Man wird mich Das stille Mädchen nennen.
Ich werde mich einfach an meinen Ashram-Stundenplan halten, allein meine
Mahlzeiten einnehmen, jeden Tag endlose Stunden meditieren und die Tempelböden
schrubben, ohne einen Mucks von mir zu geben. Mein Austausch mit den anderen
wird sich darauf beschränken, sie von meiner selbstgenügsamen Warte der Stille
und Frömmigkeit aus selig anzulächeln. Man wird über mich reden. »Wer ist denn
die schweigsame junge Frau da hinten im Tempel, die immer auf den Knien liegt
und die Böden schrubbt? Nie sagt sie ein Wort. Sie hat so was Unfassbares.
Geheimnisvolles. Wie wohl ihre Stimme klingt? Nicht mal, wenn sie im Garten
hinter einem geht, hört man sie ... Sie bewegt sich so leise wie der Wind.
Offenbar meditiert sie andauernd, hält ständig Kontakt zu Gott Sie ist
das süßeste Mädchen, das ich je gesehen habe.«
     
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    Am nächsten Morgen lag ich wieder im Tempel auf den Knien,
schrubbte den Marmorboden und strahlte (wie ich mir vorstellte) heilige Stille
aus, als mir ein Junge die Nachricht überbrachte, ich solle mich umgehend im
Seva-Büro melden. Seva ist der Sanskritbegriff für die
spirituelle Praxis selbstlosen Dienens (wie etwa das Schrubben von Tempelböden).
Das Seva-Büro verwaltet alle Arbeitsaufgaben des Ashrams. Also ging ich
neugierig hinüber, und die nette Person am Schalter fragte mich: »Sind Sie
Elizabeth Gilbert?«
    Ich schenkte ihr ein Lächeln innigster Gottesfurcht und
nickte. Schweigend.
    Dann teilte sie mir mit, dass man mir - auf ausdrücklichen
Wunsch des Managements - eine neue Aufgabe zugeteilt habe.
    Und die Bezeichnung meiner neuen Tätigkeit lautete (falls
Sie sich das freundlicherweise mal auf der Zunge zergehen lassen wollen):
»Chefhostess«.
     
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    Offensichtlich war das wieder mal einer von Swamijis Scherzen.
    Du wolltest das stille Mädchen hinten im Tempel sein?
Tja...
    Doch das passiert einem im Ashram immer wieder. Man trifft
irgendeine grandiose Entscheidung, glaubt zu wissen, was man tun muss oder wer
man sein sollte, und dann ändern sich die Umstände und machen einem bewusst,
wie wenig man sich im Grunde kennt. Ich weiß nicht, wie viele Male Swamiji es
zu Lebzeiten sagte, und auch nicht, wie oft es meine Meisterin seit seinem Tod
wiederholt hat, doch offenbar habe ich ihr nachdrücklichstes Diktum immer noch
nicht verinnerlicht:
    »Gott wohnt in dir als du selbst.«
    »Als du.«
    Falls es eine heilige Wahrheit dieses Yoga geben sollte,
dann f asst dieser Satz sie zusammen. Gott wohnt in dir als du
selbst, als genau die, die du bist. Gott hat kein Interesse daran,
dass du etwas vorspielst, was deiner Vorstellung vom Aussehen oder Verhalten
eines spirituellen Menschen entspricht. Offenbar bilden wir uns alle ein, wir
müssten, um heilig zu sein, uns charakteristisch verändern und auf unse re Individualität
verzichten. Das ist ein klassisches Beispiel für das, was man im Osten als
»falsches Denken« bezeichnet. Swamiji pflegte zu sagen, dass diese
Verzichtsapostel jeden Tag etwas Neues fänden, dem sie entsagen könnten, doch
in der Regel erlangten sie so keinen Frieden, sondern handelten sich lediglich
eine Depression ein. Immer wieder lehrte er, dass Askese und Entsagung nicht
das sind, was man

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