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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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viele mutige
Menschen gesehen.«
    Und ich dachte nur: Du hast noch gar nichts gesehen,
Mike.
     
    66
     
    Das Thema dieser Einkehr und ihr Ziel ist turiya, die so
schwer zu fassende vierte Stufe des menschlichen Bewusstseins. In ihrer
normalen Erfahrung - sagen die Yogis - bewegen sich die meisten Menschen
zwischen drei verschiedenen Ebenen des Bewusstseins: Wachen, Träumen und
tiefem, traumlosem Schlaf. Doch es gibt auch noch eine vierte Ebene. Diese ist
Zeugin aller anderen Zustände, integrales Bewusstsein, das die anderen Ebenen
miteinander verbindet. Sie ist das reine Bewusstsein, ein intelligentes
Gewahrsein, das uns etwa morgens beim Aufwachen von unseren Träumen berichten
kann. Wir waren entrückt, wir haben geschlafen, doch während wir schliefen,
hat jemand über unsere Träume gewacht: Wer war dieser Beobachter, dieser Zeuge?
Und wer ist der, welcher stets abseits der Aktivitäten des Geistes steht und
unsere Gedanken beobachtet? Kein anderer als Gott, behaupten die Yogis. Und
könne man sich in diesen Zustand des Zeugenbewusstseins versetzen, so sei man
bei Gott. Dieses anhaltende Bewusstsein und Erleben der Gottesgegenwart in
unserem Innern könne sich nur auf einer vierten Ebene des menschlichen
Bewusstseins vollziehen, die sich turiya, nennt.
    An Folgendem lässt sich ablesen, ob man den turiya-Zu stand
erreicht hat - beziehungsweise sich im Zustand anhaltender Wonne befindet.
Dem, der im turiya-Zustand lebt, können die wechselnden
Launen des Geistes nichts mehr anhaben, er fürchtet weder die Zeit, noch
schreckt ihn ein Verlust. »Pur, rein, leer, still, atemlos, selbstlos, endlos,
unvergänglich, standhaft, ewig, ungeboren, unabhängig verweilt er in seiner
eigenen Größe«, beschreiben die Upanischaden, die alten yogischen Schriften,
den Menschen, der den turiya-Zu stand
erreicht hat. Die großen Heiligen, die großen Gurus, die großen Propheten der
Geschichte - sie alle lebten fortwährend in diesem Zustand. Und was uns Übrige
angeht - auch die meisten von uns waren schon dort, wenn auch nur für flüchtige
Augenblicke. Die meisten von uns haben früher oder später, wenn auch nur wenige
Minuten lang, ein unerklärliches und jähes Gefühl vollkommenen Glücks erlebt,
das zu nichts in der Außenwelt in Bezug stand. Eben ist man noch Otto
Normalverbraucher und schleppt sich durchs Leben, und dann auf einmal - ohne
dass sich äußerlich etwas verändert hat - fühlt man sich von Staunen erfüllt
und vor Wonne überfließend. Vollkommenheit durchdringt uns. Ganz ohne Grund ist
plötzlich alles vollkommen.
    Natürlich verflüchtigt sich dieser Zustand bei den meisten
von uns so rasch, wie er gekommen ist. Fast so, als offenbare man uns diese
innere Vollkommenheit nur, um uns zu foppen und uns danach schnell in die
»Realität« zurückpurzeln zu lassen, wo wir erneut von den gewohnten Sorgen und
Begierden geplagt werden. Seit Jahrhunderten bemühen sich die Menschen, diesen
Zustand seliger Vollkommenheit – sei es durch Drogen, Sex oder Macht, Adrenalin
oder die Anhäufung schöner Dinge - festzuhalten, doch es klappt nicht. Überall
suchen wir das Glück, sind aber wie Tolstois berühmter Bettler, der sein Leben
damit verbringt, auf einem Topf voller Gold zu sitzen und von jedem Passanten
Pfennige zu erbetteln, ohne etwas von dem Vermögen zu ahnen, auf dem er
buchstäblich sitzt. Unser Schatz - unser Vermögen - ist von Anfang an in uns.
Doch um unser Anrecht darauf geltend zu machen, müssen wir dem Spektakel des
Geistes den Rücken kehren, die Begierden des Ego aufgeben und in die Stille des
Herzens eintreten. Die Kundalini Shakti - die
höchste Energie des Göttlichen - führt uns in dieses Schweigen.
    Das ist der Grund, weshalb ein jeder gekommen ist.
    Als ich diesen Satz schrieb, wollte ich zunächst damit sagen:
»Das ist der Grund, weshalb diese hundert Einkehrteilnehmer aus der
ganzen Welt in diesen indischen Ashram gekommen sind.« Die yogischen Heiligen
und Philosophen allerdings hätten der umfassenden Bedeutung meiner ursprünglichen
Erklärung beigepflichtet: »Das ist der Grund, weshalb ein jeder gekommen
ist.« Denn den Mystikern zufolge ist diese Suche nach göttlicher Wonne nichts
weniger als der umfassende Zweck eines Menschenlebens. Deswegen entscheiden wir
uns, geboren zu werden, und deswegen lohnt sich alles Leiden und aller Schmerz
des irdischen Lebens - nur um der Möglichkeit willen, diese unendliche Liebe
zu erfahren. Und hat man die Göttlichkeit im Innern gefunden,

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