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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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schippa-schippa-schippa-schippa, das war
der einzige Laut im ganzen Tal. Ich war so sehr in Hochstimmung, dass ich
direkt auf eine Gruppe von Eukalyptusbäumen in der Mitte des Parks zusteuerte
(wo einst - heißt es - ein alter Tempel zu Ehren des Gottes Ganesh, des
»Beseitigers von Hindernissen«, gestanden hat), und ich schlang die Arme um
einen der Bäume, der noch warm war von der Hitze des Tages, schlang die Arme um
ihn und küsste ihn leidenschaftlich. Ich meine, ich küsste diesen Baum wirklich
aus ganzem Herzen und dachte keinen Moment daran, dass dies der schlimmste
Albtraum aller amerikanischen Eltern ist, deren Kind je nach Indien gepilgert
ist, um sich zu finden - dass der Sohn oder die Tochter nämlich irgendwann
Baumorgien im Mondenschein feiert.
    Aber die Liebe, die ich empfand, war rein. Göttlich. Ich
sah mich um im dunklen Tal und entdeckte nichts, was nicht Gott war. Ich war so
unglaublich und absolut glücklich. Und dachte: Was immer es auch ist - es ist
das, worum ich gebetet habe. Und auch der, zu dem ich
gebetet habe.
     
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    Übrigens habe ich mein Wort gefunden.
    Da ich ein Bücherwurm bin, entdeckte ich es natürlich in
der Bibliothek. Seit jenem Nachmittag in Rom, als mein italienischer Freund Giulio
mir erzählt hatte, dass Roms Wort Sex heiße, und
mich gefragt hatte, welches das meine sei, hatte ich mir darüber Gedanken
gemacht. Damals kannte ich die Antwort nicht, vermutete aber, dass mein Wort
sich irgendwann zu erkennen geben würde.
    Und so ist es mir nun in meiner letzten Ashram-Woche
begegnet. Ich las gerade einen alten Yogatext, als ich auf eine Beschreibung
spiritueller Sucher stieß. In diesem Kontext aber erschien ein ganz bestimmtes
Sanskritwort: antevasin. Es bedeutet: »einer, der an der
Grenze lebt«. Im Altertum war diese Beschreibung wortwörtlich gemeint. Sie
besagte, dass ein Mensch das geschäftige Zentrum weltlichen Lebens verlassen
hatte, um an den Rand des Waldes zu ziehen, wo die spirituellen Meister lebten.
Der antevasin gehörte nicht mehr zu den
Dörflern, den Hausbesitzern, die ein konventionelles Leben führten. Noch galt
er schon als einer jener Weisen, die, voll verwirklicht, tief in den
geheimnisvollen Wäldern lebten. Das Wort antevasin bezeichnete
eine Zwischenexistenz. Einen Grenzlandbewohner. Als solcher lebte er in
unmittelbarer Nähe beider Welten, blickte jedoch ins Unbekannte. Und er war ein
Gelehrter.
    Als ich die Beschreibung des antevasin las,
spürte ich eine solche Erregung, dass ich einen leisen bellenden Laut von mir
gab. Das ist mein Wort, wow\ Heutzutage
muss man dieses Bild eines mysteriösen Waldes natürlich metaphorisch
verstehen, und die Grenze ebenfalls. Aber man kann immer noch da leben. Man
kann - im fortwährenden Zustand des Lernens begriffen - immer noch auf dieser
Linie zwischen altem Denken und neuer Einsicht leben. Im übertragenen Sinne ist
es eine bewegliche Grenze; während man in seinen Studien und Erkenntnissen
fortschreitet, bleibt einem dieser geheimnisvolle Wald stets einige Fuß voraus,
so dass man mit leichtem Gepäck reisen muss, um ihm folgen zu können. Man muss mobil
und geschmeidig bleiben. Ja, glatt sogar.
    Als mein Freund, der Klempner/Dichter aus Neuseeland, den Ashram
verließ, steckte er mir zwischen Tür und Angel noch ein bezauberndes kleines
Abschiedsgedicht zu. Es lautete folgendermaßen:
    Elizabeth, zwischen und zwaschen Südseeträumen und
italienischen Phrasen, Elizabeth zwischen und zwaschen, zuweilen schlüpfrig und
glatt wie ein Fisch.
    Wie viel Zeit ich doch in den letzten Jahren mit der Frage
nach dem, was ich sein sollte, verbracht habe! Ehefrau? Mutter? Liebhaberin?
Junggesellin? Italienerin? Vielfraß? Reisende? Künstlerin? Yogi? Aber nichts
von alledem bin ich - oder wenigstens nicht ausschließlich. Und auch die verrückte
Tante Liz bin ich nicht. Ich bin nur ein schlüpfriger antevasin
- zwischen und zwaschen -, eine Lernende an der
beweglichen Grenze unweit des wunderbaren und beängstigenden Waldes des Neuen.
     
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    In ihrem Kern, glaube ich, teilen alle Religionen der Welt
den Wunsch, eine Metapher für die Entrückung zu finden. Beim Versuch,
Gemeinschaft mit Gott zu erlangen, will man ja im Grunde nichts anderes, als
sich aus dem Weltlichen ins Ewige zu begeben (aus dem Dorf in den Wald, könnte
man sagen, um das Thema des antevasin fortzuspinnen),
und man braucht eine große Idee, die einen dorthin befördert. Groß muss sie
sein, diese Metapher - wirklich groß,

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