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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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Sicherheit, Gesundheit, Kinder- und
Altenbetreuung, Erziehung und - was für die Balinesen am wichtigsten ist -
spiritueller Verbundenheit. Denn schließlich sind hier auch all die Kokosnüsse
mit den Geistergeschwistern begraben, die geehrt und umsorgt werden müssen, um
jedermann im Gleichgewicht zu halten.
    Das Familienanwesen ist derart vital, dass die Balinesen
es als Einzelperson betrachten. Herkömmlicherweise wird die Bevölkerung eines
balinesischen Dorfs nicht nach der Anzahl der Einwohner beziffert, sondern
nach der der Anwesen. Ein solches Anwesen ist ein sich selbst erhaltendes Universum.
Daher verlässt man es nicht. (Es sei denn natürlich, man ist eine Frau; in
diesem Falle zieht man ein einziges Mal um - vom Familienanwesen des Vaters in
das des Ehemanns.) Wenn dieses System funktioniert - was in dieser Gesellschaft
fast immer der Fall ist -, bringt es die normalsten, behütetsten, gelassensten,
glücklichsten und ausgeglichens ten Menschen der Welt hervor. Und
wenn es nicht funktioniert (wie bei meiner neuen Freundin Wayan)? Dann
verliert sich die Ausgestoßene in einem leeren Raum. Wayan hatte die Wahl,
entweder mit einem Mann, der sie immer wieder krankenhausreif schlug, im
Sicherheitsnetz des Familienanwesens zu verbleiben oder ihr Leben zu retten,
die Familie zu verlassen und damit vor dem Nichts zu stehen.
    Nun, nicht ganz. Sie nahm ihr enzyklopädisches Heilwissen
mit, ihre Kraft, ihre Güte, ihr Arbeitsethos und ihre Tochter Tutti - um die sie
hart kämpfen musste. Die balinesische Gesellschaft ist von Grund auf
patriarchalisch. Im seltenen Falle einer Scheidung verbleiben die Kinder
automatisch beim Vater. Um Tutti mitnehmen zu können, musste Wayan einen
Anwalt einschalten, den sie mit allem bezahlte, was sie besaß. Und damit meine
ich buchstäblich alles. Sie verkaufte nicht nur ihre Möbel und ihren Schmuck,
sondern auch Besteck, Socken und Schuhe, ihre alten Waschlappen und
Kerzenstummel - alles ging für die Begleichung der Anwaltsrechnungen drauf. Am
Ende jedoch, nach zweijährigem Kampf, bekam sie ihre Tochter zugesprochen.
Natürlich hatte Wayan auch das Glück, dass Tutti ein Mädchen war; wäre sie ein
Junge gewesen, hätte sie ihr Kind nie wiedergesehen. Jungen sind erheblich
mehr wert.
    Wayan und Tutti leben allein - ganz allein im Ameisenhaufen
Bali! -, und alle paar Monate, wenn wieder mal Ebbe in der Kasse herrscht,
ziehen sie um. Die ständigen Umzüge sind nicht unproblematisch, denn Wayans
Patienten (meist Balinesen, die ebenfalls schwere Zeiten durchmachen) fällt es
jedes Mal schwer, sie wiederzufinden. Außerdem muss die kleine Tutti bei jedem
Wohnungswechsel von der Schule genommen werden. Tutti war immer Klassenbeste
gewesen, seit dem letzten Umzug aber ist sie auf den zwanzigsten Platz unter
fünfzig Kindern zurückgefallen.
    Während Wayan und ich uns noch unterhielten, kam Tutti aus
der Schule zurück und stürmte in den Laden. Inzwischen ist sie acht Jahre alt
und ein echtes Energiebündel. Diese kleine Kirschbombe (bezopft, mager und
aufgeregt) fragte mich in lebhaftem Englisch, ob ich gern zu Mittag essen würde,
und Wayan meinte: »Das hab ich ja völlig vergessen! Sie sollten wirklich was essen!«
Und Mutter und Tochter eilten in ihre Küche und zauberten - tatkräftig
unterstützt von den zwei schüchternen Mädchen, die sich dort versteckten - kurz
darauf das beste Essen hervor, das ich bis dahin auf Bali gekostet hatte.
    Die kleine Tutti servierte jeden Gang der Mahlzeit mit einer
Erklärung zu dem, was sich auf dem Teller befand, und einem Riesenlächeln und
war dabei so lebhaft, dass sie eigentlich ein Stöckchen hätte schwingen
müssen.
    »Gelbwurzsaft, für Nierenreinigen!«, verkündete sie.
    »Algen, für Kalziumbedarf!«
    »Tomatensalat, für Vitamin D!«
    »Gemischte Kräuter, gegen Malaria!«
    Schließlich fragte ich sie: »Tutti, wo hast du so gut Englisch
gelernt?«
    »Aus ein Buch!«, verkündete sie.
    »Ich glaube, du bist ein sehr kluges Mädchen«, sagte ich.
    »Danke!«, erwiderte sie und vollführte spontan einen kleinen
Freudentanz. »Du bist auch sehr kluges Mädchen!«
    Apropos - normalerweise sind balinesische Kinder nicht so.
Meistens sind sie sehr still und höflich und verstecken sich hinter den Röcken
ihrer Mütter. Nicht so Tutti. Alles an ihr war Show-Biz. Dinge vorführen und
darüber reden.
    »Ich sehe dir meine Bücher!«, flötete Tutti und rannte die
Treppe hinauf, um sie zu holen.
    »Sie will Tierarzt werden«, erzählte

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