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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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mir Wayan. »Wie heißt
auf Englisch?«
    »Veterinarian. Veterinär?«
    »Ja, Veterinär. Aber sie fragt viele Fragen, die ich kann
nicht beantworten. Sagt: >Mammi, wenn mir jemand kranke Tiger bringt,
verbinde ich dann zuerst Zähne, damit er mich nicht beißt? Und wenn Schlange
krank wird und Medizin braucht, wohin gibt man Medizin?< Ich weiß nicht,
woher sie solche Idee hat. Ich hoffe, sie kann später auf Universität gehen.«
    Die Arme voller Bücher kam Tutti die Treppe heruntergeschwankt
und warf sich ihrer Mutter in den Schoß. Wayan lachte und küsste ihre Tochter,
und all die Trauer über die Scheidung war mit einem Mal aus ihrem Gesicht
verschwunden. Ich betrachtete die beiden und dachte, dass kleine Mädchen, die
ihre Mütter zum Überleben zwingen, sicherlich einmal ungeheuer starke Frauen
werden. Schon nach einem einzigen Nachmittag war ich völlig verliebt in dieses
Kind. Ich schickte ein spontanes Gebet gen Himmel: Möge Tutti
Nuriyasih eines Tages Tausende weiße Tiger verarzten!
    Auch Tuttis Mutter liebte ich. Inzwischen aber war ich
schon seit Stunden in ihrem Laden und dachte, ich sollte lieber gehen. Weitere
Touristen hatten sich eingefunden und hofften auf ein Mittagessen. Eine der
Touristinnen, ein dreistes Weibsbild aus Australien, fragte laut, ob Wayan ihr
nicht helfen könne, ihre »beschissene Verstopfung« zu kurieren. Ich dachte: Brüll's
noch ein bisschen lauter, Schätzchen, dann können wir alle drauf tanzen ...
    »Ich komme morgen wieder«, versprach ich Wayan, »und nehme
wieder den Multivitamin-Special.«
    »Ihr Knie ist besser«, sagte Wayan. »Sehr schnell. Entzündung
ist weg.«
    Sie wischte den letzten Rest der grünen Kräuterschmiere
von meinem Bein, ruckelte dann ein wenig an meiner Kniescheibe und tastete sie
ab. Dann befühlte sie mit geschlossenen Augen das andere Knie. Sie öffnete die
Augen, lächelte und sagte: »Ich spüre an Knie, Sie haben nicht viel Sex in letzte
Zeit.«
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich. »Weil die Knie so
eng beieinander stehen?«
    Sie lachte. »Nein - wegen Knorpel. Knorpel sehr trocken.
Hormone von Sex machen Gelenke feucht. Wie lange kein Sex für dich?«
    »Etwa eineinhalb Jahre.«
    »Du brauchst gute Mann. Ich finde für dich. Ich bete am
Tempel für dich, weil du jetzt meine Schwester bist. Und wenn du morgen
wiederkommst, ich reinige deine Nieren.«
    »Ein guter Mann und saubere Nieren obendrein? Das klingt
ja wirklich verlockend.«
    »Ich erzähle nie jemand von meine Scheidung«, sagte sie.
»Aber mein Leben ist schwer, zu traurig, zu schwer. Ich verstehe nicht, warum
Leben so schwer.«
    Dann tat ich etwas Seltsames. Ich nahm die Hand der Heilerin
in die meine und sagte mit ehrlicher Überzeugung: »Das Schlimmste liegt hinter
Ihnen, Wayan.«
    Lange und eindringlich betrachtete sie mich. »Warum sagen
Sie das?«
    »Ich verspreche es Ihnen«, sagte ich, als würde ich etwas
vor einem Richter beeiden. »Ich schwöre Ihnen, Wayan - es ist vorbei.«
    Zitternd verließ ich den Laden und spürte einen heftigen
Impuls, den ich weder identifizieren noch in Handlung umsetzen konnte.
     
    87
     
    Inzwischen sind meine Tage dreigeteilt. Den Morgen verbringe
ich lachend und essend mit Wayan in ihrem Laden. Die Nachmittage schlage ich
mir plaudernd und Kaffee trinkend mit Ketut, dem Medizinmann, um die Ohren. Am
Abend sitze ich in meinem herrlichen Garten, allein und lesend oder zusammen
mit Yudhi, der zu mir herüberkommt, um Gitarre zu spielen und mir seine
Probleme mit dem amerikanischen Heimatschutzministerium zu schildern. Jeden
Morgen, wenn die Sonne über den Reisfeldern aufsteigt, meditiere ich, und vor
dem Schlafengehen spreche ich mit meinen vier Geisterbrüdern und bitte sie,
über meinen Schlaf zu wachen.
    Obwohl ich erst einige Wochen hier bin, habe ich schon
jetzt das Gefühl, als hätte ich meine Mission erfüllt. Meine Aufgabe in
Indonesien lautete: Suche nach Gleichgewicht. Aber ich empfinde mich nicht mehr
als Suchende, weil sich das Gleichgewicht irgendwie ganz von allein eingestellt
hat. Nicht, weil ich allmählich Balinesin würde (ebenso wenig, wie ich je
Italienerin oder Inderin wurde), sondern nur insofern, als ich meine innere
Ruhe spüre und es einfach liebe, wie sich meine Tage zwischen ungezwungenen
religiösen Übungen und der Freude an schöner Landschaft, am Zusammensein mit
lieben Freunden und an gutem Essen einpendeln. Am stärksten verspüre ich den
Drang zu beten, wenn ich an dämmerigen Spätnachmittagen von

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