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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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hin? Wo kommen Sie her? Sind Sie
verheiratet?
    Als ich ihr sagte, dass ich nicht verheiratet sei (»Noch
nicht!«), wirkte sie betroffen.
    »Sie war nie verheiratet?«, fragte sie.
    »Nein«, log ich. Ich lüge nicht gern, finde es jedoch
leichter, den Balinesen meine Scheidung zu verschweigen, weil sie sich zu sehr
darüber aufregen würden.
    »Wirklich nie verheiratet?«, fragte sie wieder und betrachtete
mich nun mit großer Neugier.
    »Wirklich und wahrhaftig«, log ich. »Nie verheiratet gewesen.«
    »Sicher?« Langsam wurde mir unheimlich. Und es war auch so
untypisch, dass sie meine Ehrlichkeit bezweifelte und sich derart in meine
Angelegenheiten mischte. Ein sehr ungewöhnliches Verhalten in einer so
höflichen Gesellschaft.
    »Ich bin mir völlig sicher!«
    »Nicht einmal eine einzige Mal?«, fragte sie.
    Okay, sie durchschaute mich also. Eine Medizinfrau sollte
man eben nie belügen.
    »Nun«, beichtete ich. »Es gab da dieses eine Mal...«
    Ihr Gesicht hellte sich auf, als wolle sie sagen: Dachte ich
mir's doch. »Geschieden?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte ich, nun beschämt. »Geschieden.«
    »Ich hab gespürt.«
    »Hier kommt das nicht so oft vor, oder?«
    »Aber ich bin doch auch«, sagte Wayan nun zu meiner
Überraschung. »Ich auch geschieden.«
    »Sie?«
    »Ich habe alle getan, was ich tun konnte«, sagte sie.
»Alle versucht, bevor ich mich scheiden lasse, jeden Tag gebetet. Aber ich muss
weg von ihm.«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und ehe ich mich's versah,
hielt ich Wayans Hand, weil ich soeben meine erste balinesische Geschiedene
getroffen hatte, und sagte: »Ich bin mir sicher, dass Sie alles probiert haben.
Ich bin mir sicher, dass Sie nichts unversucht gelassen haben.«
    »Scheiden so traurig«, sagte sie. Ich stimmte ihr zu.
    Die folgenden fünf Stunden unterhielt ich mich mit meiner
neuen Freundin über ihre Probleme. Und während ich ihr zuhörte, säuberte sie
mein entzündetes Knie. Immer wieder unterbrach sie sich und meinte: »Warum ich
rede so? Ich sage nie zu jemand so. Warum ich weine so?« In gewisser Weise
erinnerte sie mich an mich selbst: Vor vier Jahren, als meine Ehe langsam
zerbrach, musste ich eines Tages zur zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung, und
meine Zahnärztin (eine wunderbare Frau aus Kolumbien) fragte mich: »Alles in
Ordnung? Sie wirken ein bisschen niedergeschlagen.« Worauf ich auf der Stelle
in Tränen ausbrach. Meine Zahnärztin schloss die Tür, brach die Zahnreinigung
ab, setzte sich neben mich, nahm meine Hand und sagte: »Wenn Sie nicht darüber
reden, macht es Sie krank.« Und dann schrieb sie mir ein spanisches Verb auf,
das so viel wie »vor dem Ersticken bewahren« bedeutet, und meinte: »Damit
müssen Sie sofort anfangen.« Und genau das sagte ich zu Wayan, die sich dabei
ertappt hatte, dass sie vor einer völlig Fremden in Tränen zerfloss. »Wenn Sie
nicht darüber reden, macht es Sie krank.« Und so begann Wayan, sich mit meiner
Hilfe vor dem Ersticken zu bewahren. Auf diese Weise verbreitet sich das
Mitgefühl rund um die Welt. Von meiner südamerikanischen Zahnärztin in New
York auf mich und weiter auf Wayan in ihrem kleinen Laden in Indonesien ...
    Wayans Exmann war ein zwanghafter Spieler und Alkoholiker,
der sie brutal misshandelte. Viele Male hatte er sie krankenhausreif
geschlagen. Sie zeigte mir die Narben auf ihrem Kopf, die davon rührten, dass
er ihr mit dem Motorradhelm den Schädel gebrochen hatte. Wäre sie nicht Heilerin
- glaubt sie -, hätte sie sich nicht darauf verstanden, sich selbst zu
kurieren, und höchstwahrscheinlich das Gehör oder das Augenlicht verloren. Erst
nachdem er sie so schwer misshandelt hatte, dass sie ihr zweites Kind durch
eine Fehlgeburt verlor und ihre Erstgeborene, ein intelligentes kleines
Mädchen mit Spitznamen Tutti, meinte: »Ich finde, du solltest dich scheiden
lassen, Mutti. Immer wenn du ins Krankenhaus gehst, muss Tutti zu viel
Hausarbeit machen«, erst da verließ sie ihn.
    Vier Jahre war Tutti alt, als sie das sagte.
    Ein Balinese, der sich aus seiner Ehe verabschiedet,
bleibt derart einsam und ungeschützt zurück, wie es sich ein Westler kaum
auszudenken vermag. Die von den Mauern des Familienanwesens umschlossene
Familieneinheit ist nicht weniger als alles für ihn. In den Bungalows, die
sich um einen kleinen Tempel gruppieren, leben vier Generationen zusammen und
sorgen füreinander von der Geburt bis zum Tod. Das Familienanwesen ist Quelle
und Garant von Stärke, finanzieller

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