Gilbert, Elizabeth
schärfte er mir ein, mich meinen vier Geisterbrüdern jedes Mal,
wenn ich sie anrede, zu erkennen zu geben. Dazu müsse ich den geheimen Spitznamen
nennen, den sie mir gegeben hätten, müsse sagen: »Ich bin Lagoh
Prano.«
Lagoh Prano heißt »Glücklicher Körper«.
Ich radelte nach Hause, beförderte meinen glücklichen
Körper in der Spätnachmittagssonne die Hügel zu meinem Haus hinauf. Als ich
durch den Wald radelte, ließ sich ein großer männlicher Affe direkt vor mir auf
die Straße fallen und bleckte die Fänge. Ich zuckte nicht mal mit der Wimper.
»Hau ab, Jack«, sagte ich nur, »ich hab vier Brüder, die mich beschützen«, und
fuhr an ihm vorbei.
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Am nächsten Tag aber wurde ich (trotz brüderlicher Beschützer)
von einem Bus angefahren, als ich die Straße entlangstrampelte. Der Kleinbus
schleuderte mich in einen betonierten Abwassergraben. Etwa dreißig balinesische
Mopedfahrer hielten an, um mir zu helfen, da sie den Unfall gesehen hatten (der
Bus war längst verschwunden), und alle luden mich zum Teetrinken zu sich nach
Hause ein oder boten mir an, mich ins Krankenhaus zu bringen; allen tat das
Ganze furchtbar Leid. Allerdings stand es - wenn man bedachte, wie der Unfall
hätte ausgehen können - nicht allzu schlimm um mich. Mein Fahrrad war
unbeschädigt, lediglich der Korb war etwas verbogen, und der Helm hatte einen
Riss. Das Schlimmste war eine Schnittwunde am Knie, die sich, da voller Kies
und Dreck, in den nächsten Tagen - an der feuchten tropischen Luft - unangenehm
entzünden sollte.
Ich wollte Ketut Liyer nicht beunruhigen, einige Tage später
aber rollte ich auf seiner Veranda mein Hosenbein hoch und löste den vergilbten
Verband. Besorgt starrte der alte Medizinmann auf meine Wunde.
»Entzündet«, diagnostizierte er. »Tut weh.«
»Ja«, sagte ich.
»Besser, du gehst Doktor.«
Das überraschte mich nun ein wenig. War er nicht der
Doktor? Aus irgendeinem Grund jedoch wollte er mir nicht helfen, und ich
wiederum wollte ihn nicht drängen. Vielleicht behandelt er ja keine Westler.
Oder vielleicht hatte er auch einen geheimen Masterplan, denn letztlich war es
das ramponierte Knie, das mir zur Begegnung mit Wayan verhalf. Und durch Wayan
wiederum kam alles, was dann geschehen sollte, ins Rollen ...
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Wie Ketut Liyer praktiziert auch Wayan Nuriyasih balinesische
Heilkunde. Es gibt jedoch einige Unterschiede zwischen den beiden. Ketut ist
ein alter Mann, Wayan hingegen eine Frau Ende dreißig. Ketut ist ein eher
priesterlicher Typ, etwas mystisch und mehr für die religiösen Zeremonien zuständig,
während Wayan ganz die praktische, zupackende Doktorin ist, die im eigenen
Laden Kräuter verkauft und Arzneien mischt und dort auch ihre Patienten behandelt.
Ihr Laden befindet sich im Zentrum von Übud und nennt sich »Traditional Balinese
Healing Center«. Auf dem Weg zu Ketut war ich schon viele Male an ihm
vorbeigeradelt, und aufgefallen war er mir wegen der vielen vor dem Schaufenster
stehenden Topfpflanzen sowie der Tafel mit dem merkwürdigen handgeschriebenen
Hinweis auf das »Multivitamin Lunch Special«. Vor meiner Knieverletzung aber
war ich nie dort gewesen. Als Ketut mich wegschickte, damit ich mir einen Arzt
suchte, fiel mir der Laden wieder ein, und in der Hoffnung, dass mir dort
jemand helfen könnte, fuhr ich hin.
Wayans Laden beherbergt eine kleine Praxis und ist außerdem
Wohnung und Restaurant. Im Erdgeschoss befinden sich eine winzige Küche und ein
bescheidener öffentlicher Speiseraum mit drei Tischen und einigen Stühlen. Im
Obergeschoss liegen die Privaträume, in denen Wayan auch Massagen und
Behandlungen durchführt.
Mit meinem wehen Knie humpelte ich in den Laden und
stellte mich Wayan vor - einer auffallend attraktiven Balinesin, mit breitem
Lächeln und glänzendem schwarzem Haar, das ihr bis zu den Hüften reicht. In der
Küche hinter ihr versteckten sich zwei schüchterne junge Mädchen, lächelten,
als ich ihnen zuwinkte, und tauchten dann wieder weg. Ich zeigte Wayan meine
infizierte Wunde und fragte, ob sie mir helfen könne. Rasch brachte Wayan auf
dem Herd Wasser und Kräuter zum Kochen und ließ mich jamu, traditionelle
selbst gebraute indonesische Heilmixturen, trinken. Sie legte heiße grüne
Blätter auf mein Knie, und sofort verspürte ich eine angenehme Wirkung.
Wir kamen ins Gespräch. Ihr Englisch war ausgezeichnet. Da
sie Balinesin ist, stellte sie mir sogleich die drei ortsüblichen
Standardfragen: Wo wollen Sie
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