Gilbert, Elizabeth
und hundertzwölf Jahre alt
wären. Die meiste Zeit ist er zwar hellwach und auf Draht, dann aber wieder ist
mir, als hätte ich ihn auf einer anderen Bewusstseinsebene oder in einem
anderen Universum aufgestört. Vor ein paar Wochen sagte er aus heiterem Himmel
zu mir: »Liss, du bist gute Freundin für mich. Treue Freundin. Liebe Freundin.«
Dann seufzte er, starrte vor sich hin und fügte traurig hinzu: »Nicht wie
Sharon.« (Wer zum Teufel ist Sharon? Was hat sie ihm angetan? Als ich ihn
danach fragte, gab er mir keine Antwort. Tat plötzlich, als wisse er nicht, was
ich meine. Als sei ich diejenige, die dieses Flittchen namens Sharon erwähnt
hat.)
»Warum bringst du deine Freund nicht mit?«, fragt er nun.
»Aber das hab ich doch, Ketut. Wirklich. Und du hast mir
gesagt, dass du ihn magst.«
»Weiß nicht. Reiche Mann, deine Freund?«
»Nein, Ketut. Reich ist er nicht. Aber er hat genug.«
»Mittelreich?« Der Medizinmann wünscht Einzelheiten zu
hören.
»Es reicht.«
Meine Antwort schien Ketut zu irritieren. »Du gefragt, ob
er dir Geld geben kann, oder nicht?«
»Ketut, ich will kein Geld von ihm.«
»Du jede Nacht bei ihm?«
»Ja.«
»Gut. Verwöhnt dich?«
»Sehr.«
»Gut. Du meditierst noch?«
Ja, immer noch meditiere ich beinahe täglich, gleite aus
Felipes Bett hinüber zur Couch, wo ich schweigend sitzen und mich für mein
Glück bedanken kann. Draußen, vor unserer Veranda, platschen die Enten quakend
durch die Reisfelder. (Diese geschäftigen balinesischen Enten, meint Felipe,
erinnerten ihn an die Brasilianerinnen, die laut schwatzend, einander permanent
unterbrechend und stolz mit den Hinterteilen wackelnd an den Stränden Rios
entlangstolzieren.) Ich bin jetzt derart entspannt, dass ich in die Meditation
gleite, als wäre sie ein Bad, bereitet von meinem Liebhaber. Nackt in der
Morgensonne, tauche ich mit nichts als einer leichten Decke über den Schultern
in die Gnade ein.
Warum schien mir das Lehen je schwierig?
Eines Tages rufe ich meine Freundin Susan in New York an
und lausche, während im Hintergrund die typischen Polizeisirenen heulen, ihren
Mitteilungen über ihre jüngste unglückliche Liebe. Meine Stimme hat den coolen
weichen Tonfall eines Late-Night-Jazz-Radio-DJs, als ich ihr sage, dass sie
einfach loslassen müsse, lernen müsse, dass alles schon vollkommen sei, so wie
es ist, dass das Universum für uns sorge und da draußen nur Frieden und
Harmonie herrschten ...
Ich sehe geradezu, wie sie die Augen rollt, während sie
sagt: »Du redest wie eine, die heute schon vier Orgasmen hatte.«
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Schließlich aber fordern Spiel und Spaß ihren Tribut. Nach
all den schlaflosen Nächten und den im Bett verbrachten Tagen schlug mein
Körper zurück, und ich bekam eine unangenehme Blasenentzündung. Ein typisches
Leiden der sexuell Unersättlichen, dem man vor allem dann zum Opfer fällt,
wenn man die Unersättlichkeit nicht mehr gewöhnt ist. Eines Morgens ging ich
durch die Stadt, um einige Besorgungen zu machen, als ich mich plötzlich
krümmte vor brennendem Schmerz. Ich hatte schon früher, im Eigensinn meiner
Jugend, mit diesen Entzündungen Bekanntschaft gemacht, so dass ich gleich
wusste, woher die Schmerzen rührten. Einen Moment lang packte mich Panik, dann
aber dachte ich: Gott sei Dank ist meine beste Freundin auf Bali Heilerin, und
rannte in Wayans Laden. »Ich bin krank!«, rief ich.
Sie warf mir nur einen kurzen Blick zu und meinte: »Ich
weiß.«
Ich nahm vorsichtig Platz, und sie trat zu mir, schob ihre
kühle Hand unter mein T-Shirt, betastete den heißen Bauch und dann den feuchten
Rücken.
»Du krank wegen zu viel Sex, Liz«, sagte sie.
Ich stöhnte und verbarg verlegen das Gesicht in den Händen.
Sie lachte leise und meinte: »Vor Wayan gibt keine Geheimnisse
...«
Es tat wahnsinnig weh. Jeder, der je an einer solchen Infektion
gelitten hat, kennt das furchtbare Gefühl; jeder aber, der dieses spezielle
Leiden nicht kennt - nun ja, der denke sich einfach eine eigene Metapher aus,
die, wenn möglich, das Wort »Schürhaken« enthalten sollte.
Wayan blieb die Ruhe selbst. Methodisch begann sie Kräuter
zu hacken und Wurzeln zu kochen, lief zwischen mir und ihrer Küche hin und her
und reichte mir mit der Aufforderung »Trink, Schätzchen ...« ein warmes
braunes, giftig schmeckendes Gebräu nach dem anderen.
Zwischendurch setzte sie sich mir gegenüber, warf mir
verschlagene Blicke zu und fragte: »Diese Felipe, ist er gute Mann? Ich
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