Gilbert, Elizabeth
es
nur in Verbindung mit etwa zwanzig anderen Maßnahmen, die ich damals
gleichzeitig zu meiner Rettung ergriff, und ich hoffe, dass ich nie wieder
solche Medikamente einnehmen muss.
Wenn auch ein Arzt andeutete, dass ich wegen meiner Neigung
zur Melancholie möglicherweise immer wieder in meinem Leben zu
Antidepressiva würde greifen müssen. Hoffentlich täuscht er sich. Ich
jedenfalls werde alles tun, um ihm seinen Irrtum zu beweisen beziehungsweise
diesen Hang zur Melancholie mit jedem mir zur Verfügung stehenden Mittel
bekämpfen. Ob ich mir mit dieser Sturheit eher schade oder ob sie meiner
Selbsterhaltung dient, kann ich nicht sagen. Aber so weit bin ich immerhin
gekommen.
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Oder vielmehr: So weit bin
ich gekommen. Ich befinde mich in Rom und in Schwierigkeiten. Die lästigen
Zeitgenossen Depression und Einsamkeit haben sich wieder in mein Leben
gedrängt, nachdem ich erst vor drei Tagen mein letztes Wellbutrin genommen
habe. In meiner untersten Schublade habe ich zwar noch ein paar andere Pillen,
aber die will ich nicht nehmen. Doch ich mag auch Depression und Einsamkeit
nicht ständig um mich haben, folglich bin ich unentschieden und steigere mich
in eine Panik hinein - wie immer, wenn ich unentschieden bin. Heute Nacht also
greife ich erst mal zu meinem ganz privaten Notizbuch, das ich für den Fall,
dass ich in Not gerate, neben meinem Bett aufbewahre. Ich schreibe:
»Ich brauche deine Hilfe.«
Dann warte ich. Nach einer Weile erfolgt eine Reaktion, in
meiner eigenen Handschrift:
Ich bin da. Was kann ich für dich tun?
Und nun beginnt mein so merkwürdiges und heimliches
Gespräch aufs Neue. Hier, in diesem ganz privaten Notizbuch, spreche ich mit
mir selbst. Unterhalte ich mich mit der Stimme, die mir in jener Nacht im
Badezimmer begegnet ist, als ich Gott zum ersten Mal unter Tränen um Hilfe
anflehte und etwas (oder jemand) antwortete: Geh wieder
ins Bett, Liz. In den Jahren, die seither vergangen sind, habe ich
diese Stimme in Zeiten großer Verzweiflung - Alarmstufe Orange! -
wiedergefunden und gelernt, dass ich sie am besten mit Hilfe eines
geschriebenen Dialogs erreichen kann. Überrascht stellte ich fest, dass ich
fast immer Zugang zu dieser Stimme finde, egal wie schwarz meine Verzweiflung
auch sein mag. Sogar im tiefsten Leid ist diese ruhige, mitfühlende, zärtliche
und unendlich weise Stimme (die vielleicht ich selbst bin oder vielleicht doch
nicht so ganz) zu jeder Tages- und Nachtzeit für mich da und gesprächsbereit.
Ich habe beschlossen, mir Luft zu verschaffen und mich
nicht darum zu sorgen, ob Selbstgespräche auf Papier wohl bedeuten, dass ich
ein Schizo bin. Vielleicht ist die Stimme, an die ich mich wende, Gott,
vielleicht ist es auch meine Meisterin, die sich auf diese Weise äußert, oder
vielleicht ist es der Engel, dem man meinen Fall anvertraut hat, oder aber mein
höheres Selbst oder vielleicht auch nur ein Konstrukt meiner unterbewussten
Einbildungskraft, dazu gedacht, mich vor meinen selbstquälerischen Anwandlungen
zu schützen. Die heilige Teresa von Avila nannte solche göttlichen inneren
Stimmen »Lokutionen« - Worte aus dem Übernatürlichen, die, in unsere Sprache
übersetzt, spontan in unsere Gedanken eindringen und uns himmlischen Trost
spenden. Natürlich weiß ich sehr wohl, was Freud zu solchen spirituellen
Tröstungen gesagt hätte - dass sie irrational sind und »keinen Glauben
verdienen. Die Erfahrung lehrt uns, dass die Welt keine Kinderstube ist.« Ich
stimme ihm zu - die Welt ist keine Kinderstube. Aber gerade die Tatsache, dass
diese Welt so ungeheuer herausfordernd ist, ist auch der Grund, warum man
manchmal außerhalb ihres Gültigkeitsbereichs nach Hilfe suchen und an eine
höhere Instanz appellieren muss, um Trost zu finden.
Zu Beginn meines spirituellen Experiments hatte ich nicht
immer solches Vertrauen in diese innere Stimme der Weisheit. Einmal griff ich
in einem heftigen Anfall von Wut und Schmerz nach meinem privaten Notizbuch und
krakelte eine Botschaft an meine innere Stimme - an meinen göttlichen inneren
Trost -, die mit ihren Großbuchstaben eine ganze Seite einnahm:
verdammte scheisse, ich
glaub nicht an dich!
Nach einer Weile und immer noch schwer atmend spürte ich,
wie sich in mir ein winziges Licht entzündete, und schrieb - amüsiert und gelassen
- folgende Antwort:
Und mit wem redest du dann?
Seither habe ich ihre Existenz nicht mehr angezweifelt.
Und heute Nacht wende ich mich aufs Neue an diese Stimme. Es ist
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