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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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verliebt, der ihr eine
andere Welt des Lichts und der Sonne versprach. Er nahm sie mit in seine
Heimat, ließ sie dann aber mit drei Kindern sitzen – den Kindern und keiner
anderen Wahl, als nach Venedig zurückzukehren und das familieneigene Hotel zu
übernehmen. Sie ist so alt wie ich, sieht sogar noch älter aus,
aber ich kann mir den Kerl, der einer derart attraktiven Frau so etwas antut,
einfach nicht vorstellen. (»Er war stark«, sagt sie, »und ich bin vor lauter
Liebe in seinem Schatten eingegangen.«) Venedig ist konservativ. Die Frau hat
hier ein paar Affären gehabt, sogar mit verheirateten Männern, aber alle mit
traurigem Ende. Die Leute tratschen, reden über ihre »Schande«. Verstummen,
wenn sie ein Zimmer betritt. Nur der Form halber solle sie einen Ehering
tragen, habe ihre Mutter sie gebeten und hinzugefügt: Liebes,
wir leben nicht in Rom, wo man sich so skandalös aufführen kann, wie man will. Jeden
Morgen, wenn Linda und ich zum Frühstück hinuntergehen und unsere traurige
jung-alte Inhaberin fragen, welches Wetter für diesen Tag gemeldet sei, krümmt
sie die Finger ihrer rechten Hand zu einer Pistole, setzt sie an die Schläfe
und sagt: »Wieder Regen.«
    Trotzdem bin ich nicht deprimiert. Für die wenigen Tage
genieße ich Venedigs Untergangsmelancholie sogar irgendwie. Irgendetwas in mir
erkennt, dass diese Schwermütigkeit nichts mit mir zu tun hat, sondern zu
dieser Stadt gehört, und inzwischen bin ich gesund genug, um zwischen Venedig
und mir unterscheiden zu können. Es ist ein Zeichen der Heilung, der Festigung
meines Selbst. Einige Jahre hatte ich mich in grenzenloser Verzweiflung
verloren und alle Traurigkeit der Welt als meine eigene erfahren. Alles
Schmerzliche drang in mich ein und hinterließ seine Spuren.
    Wie auch immer, man bleibt schwerlich deprimiert, wenn
Linda einen voll quasselt und zum Kauf einer riesigen violetten Pelzmütze zu
überreden versucht oder wenn sie angesichts eines miesen Essens - das wir
eines Abends serviert bekommen - die Frage stellt: »Nennen die sich wohl Gourmet-Kalbsstäbchen?«
Sie ist ein Leuchtkäfer, diese Linda. In Venedig gab es im Mittelalter den
Beruf des codega. Der codega war ein
Bursche, der nachts mit einer Laterne vor einem herlief, um einem den Weg zu
zeigen, Diebe und Dämonen zu verscheuchen und einem in den düsteren Gassen
Zuversicht zu geben und Schutz zu gewähren. Das ist Linda - mein eigens
eingeflogener codega.
     
    33
     
    Einige Tage später bin ich wieder in Rom. Es ist heiß, die
Sonne brennt, und in den Straßen herrscht das übliche Chaos. Als ich den
Bahnhof verlasse, schallen mir die an das Zuschauergebrüll im Fußballstadion
erinnernden Rufe einer nahen manifestazione, einer
Demo, entgegen. Wogegen man diesmal demonstriert, kann mir mein Taxifahrer
nicht verraten. »Sti cazzi«, sagt er über die Streikenden.
(Wörtliche Übersetzung: »Diese Schwänze!« Oder anders ausgedrückt: »Die gehen
mir auf den Sack.«) Es ist schön, nach den Tagen im gesetzten, nüchternen
Venedig wieder in Rom zu sein. Die Stadt ist so hellwach und lebendig, so
aufgebrezelt und sexy.
    Mir kommt in den Sinn, was der Mann meiner Freundin Maria,
Giulio, einmal zu mir gesagt hat. Wir saßen in einem Straßencafe, hatten unsere
Konversationsstunde, und er fragte mich, was ich denn von Rom hielte. Ich sei
ganz hingerissen von dieser Stadt, erwiderte ich natürlich, wisse allerdings
auch, dass es nicht meine Stadt sei und ich nicht den Rest meines Lebens hier
verbringen wollte. Denn Rom habe etwas an sich, das nicht zu mir gehöre, obwohl
ich nicht so recht sagen könne, was. Während wir redeten, spazierte ein
hilfreiches Anschauungsbeispiel an uns vorüber: ein schmucküberladenes etwa
vierzig Jahre altes Weib in Schuhen mit zehn Zentimeter hohen Absätzen, einem
knallengen Rock mit einem Schlitz so lang wie mein Arm und mit einer dieser
Sonnenbrillen auf der Nase, die so windschnittig wie Rennwagen aussehen (und
wahrscheinlich auch so viel kosten). An einer edelsteinbesetzten Leine führte
sie ihr Schoßhündchen Gassi, und der Pelzkragen an ihrem knappen Jäckchen sah
aus, als sei er aus dem Fell des vormaligen Schoßhündchens gemacht. Sie hatte
eine unglaublich glamouröse Ausstrahlung, die in etwa besagte: »Du musst mich
anstarren, ich weiß, nie aber werd ich dich eines Blickes würdigen.« Diese
Frau war in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von mir, die ich einen Stil
pflege, den meine Schwester als »Stevie Nicks geht in ihrem

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