Gilbert, Elizabeth
weiß,
interessiere mich aber mehr für das Geheimnis, das mir ein einheimischer
Lebensmittelhändler soeben anvertraut hat - dass es nämlich in einem Restaurant gegenüber Puccinis Geburtshaus die besten
Pilze der Stadt gibt. Also schlendere ich durch Lucca und erkundige mich auf
Italienisch nach dem Weg: »Können Sie mir sagen, wo das Haus von Puccini ist?«
Schließlich führt mich ein freundlicher Mann direkt dorthin und ist vermutlich
sehr überrascht, als ich »grazie« sage, auf
dem Absatz kehrtmache, dem Museumseingang den Rücken zuwende und in die
entgegengesetzte Richtung marschiere, um das Restaurant auf der anderen
Straßenseite zu betreten, wo ich bei einer Portion risotto ai
funghi das Ende des Regens abwarte.
Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich vor oder nach Lucca in
Bologna war - einer Stadt, die so schön ist, dass ich während meiner ganzen
Zeit dort nicht mehr aufhören konnte zu singen: »My
Bologna has a first name! It's P-R-E-T-T-Y.« Traditionell
hat man Bologna - wegen seiner herrlichen Ziegelarchitektur und seines Reichtums
- »die Rote, die Dicke und die Schöne« genannt. (Doch, ja, auch das war als
Titel für dieses Buch im Gespräch.) Das Essen ist hier eindeutig besser als in
Rom, aber vielleicht nehmen sie auch einfach nur mehr Butter. Sogar das gelato ist besser
(es kommt mir treulos vor, das zu sagen, aber es stimmt). Die Pilze hier sind
wie große geile Zungen, und der prosciutto ist über
die Pizza drapiert wie ein dünner Spitzenschleier über einen eleganten
Damenhut. Und natürlich gibt es die berühmte salsa bolognese, die jedes andere ragú in den
Schatten stellt.
In Bologna kommt mir in den Sinn, dass es im Englischen
für den Ausdruck buon appetito keine
wörtliche Übersetzung gibt. Das ist schade und auch sehr aufschlussreich. Natürlich
gibt es auch in den Zügen zu essen - kleine Sandwiches und feine heiße
Schokolade. Wenn es draußen regnet, ist es sogar noch schöner, zu schnabulieren
und gleichzeitig dahinzubrausen. Während einer langen Fahrt teile ich mein
Zugabteil mit einem süßen jungen Italiener, der, während ich lese und meinen
Oktopussalat verspeise, stundenlang schläft. Kurz bevor wir in Venedig
ankommen, reibt er sich die Augen, mustert mich eingehend von Kopf bis Fuß und
murmelt leise: »Carina.« Was so viel wie »hübsch« bedeutet.
»Grazie mille«, erwidere ich mit übertriebener
Höflichkeit. Tausend Dank.
Er ist überrascht. Ihm war nicht klar, dass ich
Italienisch kann. Ebenso wenig wie mir, übrigens, doch wir unterhalten uns etwa
zwanzig Minuten lang, und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass ich es
tatsächlich spreche. Ich habe irgendeine Schwelle überschritten und spreche
nun tatsächlich Italienisch. Ich übersetze nicht, ich rede einfach. Natürlich
mache ich in jedem Satz einen Fehler und beherrsche auch nur drei grammatische
Zeiten, aber ich kann ohne große Mühe mit diesem jungen Mann kommunizieren. Me la
cavo, würde man auf Italienisch sagen, was ungefähr heißt: »Ich
komme klar«, aber eigentlich bedeutet das Verb cavare so viel
wie »herausziehen« (zum Beispiel einen Korken aus einer Flasche Wein), so dass
man die Redewendung auch treffender übersetzen könnte: »Ich kann mich selber
aus der Patsche ziehen.«
Er steht auf mich, dieser Bursche! Was mir ein bisschen
schmeichelt. Und er ist auch nicht unattraktiv. Wenn er auch alles andere als
bescheiden auftritt. Irgendwann sagt er auf Italienisch, wobei er natürlich
glaubt, mir ein Kompliment zu machen: »Für eine Amerikanerin sind Sie nicht zu
dick.«
»Für einen Italiener«, erwidere ich auf Englisch, »bist du
nicht zu schmierig.« Come?
Ich wiederhole - in leicht abgewandelter Form - auf Italienisch:
»Und Sie sind so zuvorkommend wie alle italienischen Männer.«
Ich spreche diese Sprache! Der Kleine denkt, ich mag ihn,
aber ich flirte nur mit den Wörtern. Gott - ich hab mich selbst entkorkt! Ich
hab meine Zunge entkorkt, und Italienisch sprudelt mir über die Lippen! Er
will sich mit mir in Venedig treffen, aber ich habe nicht das geringste
Interesse an ihm. Ich bin nur verliebt in die Sprache, will lediglich Fragen
stellen und Fragen beantworten, und lasse ihn daher ziehen. Ich hab sowieso
schon eine Verabredung in Venedig. Ich werde dort meine Freundin Linda treffen.
Crazy Linda, wie ich sie gerne nenne, obwohl sie nicht verrückt
ist, kommt aus dem verregneten Seattle ins neblige Venedig. Da sie mich
unbedingt in Italien besuchen wollte, habe ich
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