Gilbert, Elizabeth
Freundin
zum Spielen zu Besuch. Ich fragte die Kleine, wann sie Geburtstag habe. Am 25.
Januar, antwortete sie.
»Oh!«, sagte ich. »Dann bist du also ein Wassermann!
Wassermänner bedeuten Ärger, das kann ich dir flüstern, ich war mit vielen
liiert.«
Die beiden Fünfjährigen guckten verwirrt und auch ein
bisschen beunruhigt und verunsichert. Und plötzlich sah ich das entsetzliche
Bild der Frau vor mir, die ich werden würde, wenn ich nicht aufpasste: die
bekloppte Tante Liz. Die Geschiedene im Negligé mit den
orange gefärbten Haaren, die keine Milchprodukte isst, aber Mentholzigaretten
raucht, immer von irgendeiner Astrologie-Kreuzfahrt zurückkommt oder aber mit
ihrem Freund, dem Aromatherapeuten, Schluss gemacht hat, die Kindergartenkindern
die Tarotkarten legt und Sachen sagt wie: »Bring Tantchen Liz noch 'nen
Weinkühler, Kleines, dann darfst du auch meinen Mood-Ring tragen
...«
Schließlich und endlich werde ich wieder bodenständiger
werden müssen, darüber bin ich mir im Klaren.
Aber bitte jetzt noch
nicht. Nur nicht jetzt gleich.
31
Im Laufe der folgenden sechs Wochen reise ich nach Bologna,
Florenz, Venedig, Sizilien, Sardinien, dann noch einmal nach Neapel und schließlich
nach Kalabrien. Meist sind es Kurztrips (eine Woche hier, ein Wochenende da) -
gerade genug Zeit, um ein Gefühl für den jeweiligen Ort zu kriegen, sich
umzusehen, Menschen auf der Straße zu fragen, wo man gut isst, und dann im
genannten Lokal zu speisen. Ich melde mich vom Sprachunterricht ab, da er mich
ans Klassenzimmer fesselt und mich daran hindert, Italien zu
erkunden; ich beschließe, mein Italienisch im direkten Kontakt mit den
Italienern auszuprobieren.
Diese Wochen spontanen Reisens sind eine herrliche Zeit,
in der ich mich so ungebunden fühle wie selten zuvor. Ich eile zum Bahnhof und
kaufe links und rechts Tickets und fange endlich an, meine Freiheit wirklich zu
genießen, weil ich begriffen habe, dass ich überall
hinreisen kann. Eine Weile sehe ich meine Freunde in Rom nicht
mehr. »Sei una trottola«, sagt mir
Giovanni am Telefon. (»Du bist ein Kreisel.«) Eines Nachts weckt mich in einer
Stadt irgendwo am Meer, in einem Hotelzimmer direkt am Wasser, tatsächlich mein
eigenes Gelächter aus tiefstem Schlaf. Ich bin verblüfft. Wer lacht da in
meinem Bett? Als mir klar wird, dass nur ich es bin, muss ich wieder lachen. An
meinen Traum erinnere ich mich zwar nicht mehr. Aber ich glaube, er hatte etwas
mit Booten zu tun.
32
An einem Freitagmorgen fahre ich mit dem Zug nach Florenz,
um Onkel Terry und Tante Deb zu sehen, die zum ersten Mal in ihrem Leben über
den Großen Teich geflogen sind. Sie wollen durch Italien reisen und natürlich
auch ihre Nichte sehen. Bei ihrer Ankunft ist es schon Abend, und ich mache mit
ihnen einen Spaziergang zum Dom, der stets einen beeindruckenden Anblick
bietet.
Mein Onkel ist begeistert. »Wow!«, sagt er, hält dann inne
und meint einschränkend: »Aber vielleicht ist das der falsche Ausdruck, um sich
bewundernd über eine katholische Kirche zu äußern ...«
Wir gucken zu, wie im Skulpturengarten die Sabinerinnen
vergewaltigt werden, ohne dass jemand auch nur einen Finger rührt, um dagegen
einzuschreiten, erweisen Michelangelo die Ehre sowie dem Naturwissenschaftlichen
Museum und genießen all die Aussichten von den Hügeln rings um die Stadt. Dann
verlasse ich Onkel und Tante, damit sie den Rest ihres Urlaubs ohne mich
genießen können, und fahre weiter nach Lucca, jene kleine toskanische Stadt mit
den gefeierten Metzgereien, wo die schönsten Fleischstücke, die ich je in
Italien gesehen habe, mit jener »Du-weißt-dass-du-mich-willst«-Sinnlichkeit
überall in der Stadt in den Schaufenstern baumeln. Würste von jeder nur
vorstellbaren Größe, Farbe und Herkunft sind wie Damenbeine in aufreizende
Strümpfe gestopft und hängen von den Decken der Metzgereien. Wollüstige
Schinken prangen in den Fenstern und locken wie Amsterdamer Edelnutten. Sogar
im Tod wirken die Hühnchen noch so prall und zufrieden, dass man glauben möchte,
sie hätten sich stolz zur Schlachtung dargeboten, nachdem sie im Leben darum
gewetteifert hätten, welches von ihnen das saftigste und fetteste werden würde.
Aber nicht nur das Fleisch ist wunderbar in Lucca; auch
die Kastanien, die Pfirsiche, die Feigen, mein Gott, diese Feigen ...
Selbstverständlich ist die Stadt auch berühmt dafür, der
Geburtsort Puccinis zu sein. Ich sollte mich dafür interessieren, ich
Weitere Kostenlose Bücher