Gilbert, Elizabeth
Mein Wort
könnte suchen heißen. (Andererseits, seien wir
ehrlich, könnte es genauso gut verstecken sein.)
Während der letzten Monate in Italien lautete mein Wort vor allem Genuss; allerdings
deckt dieses Wort nicht alles bei mir ab, sonst wäre ich ja nicht so erpicht
darauf, nach Indien zu reisen. Mein Wort könnte Hingabe heißen,
obwohl mich das musterhafter erscheinen lässt, als ich bin, und nicht berücksichtigt,
wie viel Wein ich in letzter Zeit getrunken habe.
Ich weiß die Antwort einfach nicht und nehme an, dass es
in meinem Reisejahr genau darum geht. Darum nämlich, mein Wort zu finden. Eines
jedoch kann ich mit Sicherheit sagen: Sex ist es
nicht.
Würde ich wenigstens behaupten. Deshalb soll mir mal einer
verraten, weshalb mich heute meine Füße fast von selbst zu einer Boutique an
der Via del Condotti trugen, wo ich - unter sachkundiger Anleitung der
schmeichlerischen jungen Verkäuferin - ein paar verträumte Stunden damit
verbrachte (und das Geld für einen Interkontinentalflug verbriet), genug
Wäsche zu kaufen, um eine Sultanskonkubine für tausendundeine Nacht
auszustatten. Ich kaufte BHs in allen Formen und Farben. Erstand dünne, zarte
Mieder und freche knappe Höschen in sämtlichen Ostereierfarben; ich kaufte
Unterröcke in cremefarbenem Satin und handgenähte Winzigkeiten und so weiter
und so fort.
Nie im Leben habe ich so etwas besessen. Woher also dieses
plötzliche Verlangen? Als ich den Laden mit meiner Tarntasche voller, in
Seidenpapier geschlagener Ungezogenheiten unterm Arm verließ, kam mir
plötzlich die gequälte und vorwurfsvolle Frage in den Sinn, die ich den
römischen Fußballfan im Stadion hatte brüllen hören, als Lazios Starspieler
Albertini den Ball in einem kritischen Augenblick völlig grundlos ins Nichts
schoss und so das Spiel völlig vergeigte ...
»Per chi?«, hatte der Fan am Rande des
Wahnsinns geschrien. »Per chi?!«
Für weni Für wen war dieser Ball gedacht,
Albertini? Da ist doch keiner!
Nach meinem mehrstündigen Kaufrausch kam mir diese Frage
wieder in den Sinn, und leise, flüsternd wiederholte ich sie: »Per chi?«
Für wen, Liz? Für wen all die dekadente Verführung? Da ist
doch keiner! Mir blieben nur noch ein paar Wochen in Italien, und ich hatte
absolut nicht die Absicht, es mit jemandem zu treiben. Oder vielleicht doch?
Hatte mich das allgegenwärtige Wort der römischen Straße schließlich doch noch
beeinflusst? War das ein verzweifelter Versuch, mich zu italianisieren? War es
ein Geschenk für mich selbst oder für irgendeinen Liebhaber, den ich mir bis
jetzt noch nicht einmal vorstellen konnte? Ein Versuch, meine Libido nach dem
Desaster meiner letzten Beziehung wieder zu heilen?
Und ich fragte mich: Willst du etwa all das Zeug mit nach
Indien schleppen?
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Luca Spaghettis Geburtstag fällt in diesem Jahr auf das
amerikanische Thanksgiving-Fest, weswegen
er zu seiner Geburtstagsparty einen Truthahn machen will. Er hat noch nie
einen großen, fetten gebratenen Thanksgiving-Truthahn gegessen,
kennt ihn aber von Bildern. Er hält es für eine Kleinigkeit, ein solches
Festmahl zuzubereiten (zumal mit der tatkräftigen Unterstützung einer echten
Amerikanerin). Wir könnten, meint er, die Küche seiner Freunde Mario und Simona
benutzen, die ein schönes großes Haus außerhalb Roms
besäßen und regelmäßig seine Geburtstagspartys ausrichteten.
Und so lautete Lucas Plan für die Festivitäten: Gegen sieben
Uhr abends, nach Arbeitsschluss, würde er mich abholen, um mit mir zum Haus
seiner Freunde zu fahren, das etwa eine Autostunde nördlich von Rom liegt (wo
die anderen Gäste der Geburtstagsparty auf uns warteten). Wir würden ein
bisschen Wein trinken und uns miteinander bekannt machen und dann, vermutlich
gegen neun Uhr, damit beginnen, den zehn Kilo schweren Truthahn zuzubereiten
...
Ich brauchte einige Zeit, um Luca klar zu machen, wie lange
es dauert, einen Zehnkilotruthahn zu rösten. Ich sagte ihm, dass sein
Geburtstagsbraten bei dieser Planung wahrscheinlich erst im Morgengrauen des
nächsten Tages gar sein würde. Er war am Boden zerstört. »Aber wenn wir einen
sehr kleinen Truthahn kaufen? Einen frisch geschlüpften?«
»Luca«, sagte ich, »wozu diese Umstände? Lass uns Pizza
essen, wie es jede zweite normal-gestörte amerikanische Familie an Thanksgiving tut.«
Aber er ist immer noch ein bisschen traurig. Doch in Rom
herrscht momentan sowieso eine allgemeine Melancholie. Es ist kalt geworden.
Die
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