Gilbert, Elizabeth
denn seinen
Lebensunterhalt verdiene. »Mit nichts«, antwortete der Bursche. »Irgendwie
scheint Gott immer für mich zu sorgen.« Was Swamiji dem jungen Mann empfahl?
Hab Erbarmen mit Gott und such dir einen Job!
Meine Meisterin war Swamijis eifrigste Schülerin. Sie war
buchstäblich auf die Welt gekommen, um seine Schülerin zu werden; ihre
indischen Eltern gehörten zu Swamijis ersten Gefolgsleuten. Schon als Kind
chantete sie, unermüdlich in ihrem Eifer, oft achtzehn Stunden am Tag. Swamiji
erkannte ihr Potenzial und engagierte sie bereits in ihren Teenagerjahren als
Übersetzerin. Sie reiste mit ihm durch die ganze Welt, schenkte ihrem Guru so
große Aufmerksamkeit, dass sie ihn sogar mit den Knien sprechen hören konnte.
1982, noch keine dreißig Jahre alt, wurde sie seine Nachfolgerin.
Alle wahren Gurus gleichen sich insofern, als sie in einem
fortwährenden Zustand der Selbsterkenntnis existieren, im Hinblick auf
Äußerliches aber unterscheiden sie sich. Die für jeden offensichtlichen
Unterschiede zwischen meiner Meisterin und ihrem Guru sind gewaltig: Sie ist
eine mehrsprachige, kluge, berufstätige Frau mit Universitätsabschluss; er war
ein - zuweilen kapriziöser - südindischer Löwe. Einem unbedarften neuenglischen
Mädchen wie mir fällt es leicht, einer lebenden Meisterin zu folgen, die in
ihrer Korrektheit etwas so Beruhigendes ausstrahlt - genau die Sorte Guru ist,
die man mit nach Hause bringen und Mom und Dad vorstellen kann. Aber Swamiji
... Der war ja so unberechenbar. Schon bei meiner ersten Begegnung mit diesem
Yogaweg, als ich Fotos von ihm sah und Geschichten über ihn hörte, dachte ich:
Ich will mich lieber fern halten von diesem Meister. Der ist mir zu groß. Der
macht mich nervös.
Jetzt aber, hier in Indien, in dem Ashram, der einmal sein
Haus war, stelle ich fest, dass es mir nur noch um Swamiji geht. Dass ich nur
Swamiji spüre. Die einzige Person, zu der ich beim Beten und Meditieren
spreche, ist Swamiji. Rund um die Uhr sendet hier der Swamiji-Kanal. Hier bin
ich im Feuerofen Swamijis und spüre, wie er mich bearbeitet. Sogar in seinem
Tod hat er etwas so Irdisches und Präsentes. Er ist der Meister, den ich
brauche, wenn ich wirklich kämpfe, weil ich ihn verfluchen kann, ihm all mein
Versagen und meine Schwächen offenbaren kann und er nur darüber lacht. Lacht
und mich liebt. Sein Gelächter macht mich zornig, und der Zorn motiviert mich
zum Handeln. Und nie fühle ich mich ihm näher als beim Ringen mit der Gurugita und ihren
unergründlichen Sanskritversen. Die ganze Zeit über streite ich mich mit
Swamiji herum: »Du solltest wirklich mal was für mich tun, schließlich mach ich
das hier für dich! Und lass mich gefälligst mal ein paar Resultate sehen!
Wehe, das ist jetzt nicht reinigend!« Gestern, als ich aufs Chant-Buch guckte
und merkte, dass wir erst bei Vers fünfundzwanzig waren und ich bereits vor
Unbehagen brannte, schon schwitzte (und nicht mal wie ein Mensch schwitzt, eher
wie ein Käse), wurde ich so wütend, dass ich tatsächlich laut herausschrie:
»Du willst mich wohl verarschenl«, worauf
sich ein paar Frauen umdrehten und mich bestürzt ansahen, weil sie zweifellos
erwarteten, dass mein Kopf jeden Moment beginnen würde, dämonisch zu rotieren.
Immer wieder denke ich daran, dass ich mal in Rom gelebt
und meine geruhsamen Morgenstunden Hörnchen verspeisend und Cappuccino trinkend
verbracht habe. Was wirklich schön war.
Obwohl es mir jetzt sehr weit weg erscheint.
54
Heute Morgen habe ich verschlafen. Das heißt: Ich habe
doch tatsächlich bis Viertel nach vier im Bett gelegen. Nur wenige Minuten, ehe
die Gurugita beginnen sollte, wachte ich auf,
zwang mich zum Aufstehen, spritzte mir ein bisschen Wasser ins Gesicht, zog
mich an und wollte schon - so verklebt, griesgrämig und verärgert - in die
dunkle Nacht hinaustreten, als ich feststellen musste, dass meine Zimmergenossin
schon vor mir gegangen war und die Tür abgeschlossen hatte.
Dies fertig zu bringen war wirklich allerhand. Das Zimmer
ist sehr klein, und zu übersehen, dass die Zimmergefährtin noch schläft, ist
schlechterdings unmöglich. Darüber hinaus ist sie wirklich eine
verantwortungsbewusste, praktische Frau: Mutter von fünf Kindern, Australierin.
Es passt nicht zu ihr. Doch sie hat es getan. Hat mich buchstäblich
eingesperrt.
Das ist eine gute Entschuldigung, um nicht zur Gurugita gehen zu
müssen - war mein erster Gedanke. Und mein zweiter Gedanke? Nun - es war
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