Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
vor ihr, blickte sie mit dem selbstzufriedenen Ausdruck eines Verfolgers an, der seine Beute in die Enge getrieben hatte.
»Sie riechen nach Säure«, flüsterte sie. »Scharf, metallisch, unverwechselbar.«
Der Ausdruck in seinem Gesicht änderte sich und strahlte eine beinahe kindliche Neugier aus. Doch auf eine solch verzerrte Weise, wie Elena sie bei einem Kind noch nie gesehen hatte. »Und wonach riecht Bobby?« Wieder grinste er, auch wenn seine Augen sich rot färbten. »Er möchte es auch gerne wissen.«
Elena musste schlucken. Wasser, sagte sie in Gedanken und hoffte verdammt noch mal, dass Raphael es hören würde. Ich rieche Wasser. »Bobby«, sagte sie leise. »Bobby riecht nach Staub und Erde und Tod.« Und ich höre etwas. Angestrengt lauschte sie. Gleichmäßige Schläge. Eigentlich müsste ich sie kennen.
Uram strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Gleich würde er ihr das Genick brechen, doch im nächsten Moment zog er die Hand wieder zurück. Selbst als ein Gefühl der Erleichterung sie durchflutete, war ihr bewusst, dass er sich an ihrer Angst ergötzte, sie mit Ungewissheit quälte. Dieser Scheißkerl hielt sie nur zu seinem Vergnügen am Leben… oder etwa nicht?
»Warum lassen Sie mich noch am Leben?«
Sei still, Elena.
Sch! Wenn ich Schmerzen habe, bin ich ungenießbar.
Erneut breitete sich ein Lächeln auf Urams Lippen aus, als er ihren Knöchel quetschte. Vor Schmerz verlor sie fast wieder das Bewusstsein, doch Uram wusste sehr genau, wann er aufhören musste. »Weil Sie Raphaels Schwachpunkt sind. Lebend sind Sie viel nützlicher für mich.«
Das ist eine Falle. Wehe, du lässt dich absichtlich von ihm verwunden.
Um Uram kümmere ich mich schon. Deine Aufgabe dagegen ist es, am Leben zu bleiben.
Selbst inmitten dieses Albtraums musste sie bei dieser Anweisung unwillkürlich lächeln. »Ich bin bloß sein Spielzeug.«
»Natürlich.« Bei diesen Worten ließ er ihren Knöchel los und winkte ab.
Dass er ihr so schnell beigepflichtet hatte, erschütterte sie mehr, als ihr lieb war. Aber in Anbetracht ihrer momentanen Lebenserwartung konnte sie sich in Liebesdingen wohl so dämlich anstellen, wie sie wollte. Liebe. Zum Teufel damit. »Wenn ich so unbedeutend bin, warum spiele ich dann als Geisel überhaupt eine Rolle ?«
»Weil Raphael«, sagte er, von den Reißzähnen keine Spur, als wäre er schon ein hundert Jahre alter Vampir, »sein Spielzeug nicht gerne teilt.«
Bei diesen Worten wuchsen Eiszapfen in ihrem Herzen. »Sie scheinen sich da ganz sicher zu sein.«
»In alten Zeiten, als noch die Schönheit und Könige und Königinnen geherrscht haben, waren wir ein Jahrhundert lang am selben Hof.« Er neigte den Kopf. »Das haben Sie nicht gewusst?«
»Spielzeug eben.« Mit zusammengepressten Lippen lächelte sie ihn an, diesmal waren ihr ihre wahren Gefühle gerade recht. »Er redet kaum mit mir.«
»Raphael hat noch nie viel geredet, nicht so wie Charisemnon.« Angewidert verzog er das Gesicht. »Der redet unablässig, ohne auch nur irgendetwas zu sagen. Schon hundertmal habe ich mir gewünscht, seinen Kehlkopf zu zerquetschen. Vielleicht bekomme ich jetzt die Gelegenheit dazu.« Stirnrunzelnd schob er mit dem Fuß einen Oberschenkelknochen beiseite. »Scheußlicher Gestank hier drinnen.« Wütend sah er sich um.
Sie sagte ihm nicht, dass es seine eigene Schuld war. »Sie waren gerade dabei, mir von Raphaels Spielzeug zu erzählen«, sagte sie mit dem sicheren Gefühl, dass ihr dieses Thema ein längeres Leben bescheren würde als das des Leichengeruchs, der ihn nur verärgerte.
Als er sich ihr wieder zuwandte, fielen ihr die seltsamen Streifen auf seiner Haut auf, zarte weiße Linien zogen sich über sein Gesicht. Beinahe wie Adern, nur dass sie die falsche Farbe hatten– statt mit Blut waren sie mit etwas anderem gefüllt.
»Am Hof konnten wir uns damals unsere Sklaven selbst aussuchen«, berichtete er ihr, und seine Stimme klang dabei so tief und wohltönend, dass sie sich gut vorstellen konnte, dass er einmal viele Lebewesen in seinen Bann gezogen hatte. Und immer noch schlagen konnte, wenn ihm nicht Einhalt geboten wurde. »Sie waren einzig zu unserem Vergnügen da, und wir benutzten sie nach Belieben.«
Bei seinen verachtenden Worten schnürte sich ihr die Kehle zu. »Menschen?«
»Viel zu zerbrechlich, nicht hübsch genug. Nein, unsere Sklaven waren Vampire– damals wie heute war es ihre Pflicht, uns anzubeten.«
Zwar war das nicht der genaue Wortlaut
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