Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
nachdenken. Also konzentrierte sie sich auf die Jagd, den bevorstehenden Ball und ihre regelmäßigen Besuche bei Sam. Und genau nach einem dieser Besuche, sie ging gerade einen der Krankenhausgänge entlang, brach die Katastrophe über sie herein.
»Michaela.« Entsetzt riss Elena beim Anblick der auf dem Boden liegenden Körper die Augen auf. Zumindest einer davon war ein himmlischer Krankenpfleger, seine Haare waren mit etwas Glänzendem verklebt, über die Wand, vor der er zusammengesunken war, zog sich ein breiter roter Streifen.
»Jägerin.« Der Erzengel kam auf sie zu; Michaela trug ein wallendes burgunderrotes Kleid, das ihre Brüste sanft umschmeichelte, der lange Schlitz am Oberschenkel gab den Blick auf samtig glänzende Haut frei. Niemand hätte sie für weniger als atemberaubend schön gehalten.
Aber heute … Elena schluckte. Das Kleid war gar nicht weinrot. Es war ursprünglich einmal weiß gewesen. Nun aber war es blutdurchtränkt, klebte ihr auf der Haut. Das Gesicht des Erzengels war sauber, sein glänzendes Haar sauber und ordentlich, aber Michaelas Fingernägel waren blutverkrustet. An ihren Händen klebte der Tod.
»Ich bin gekommen, um das Kind zu sehen.«
Elena machte nicht den Fehler zu glauben, Michaela wolle ihr Vorhaben erklären. Nein, sie teilte ihr lediglich einen Beschluss mit. Eigentlich hätte sie den Erzengel ziehen lassen sollen, aber abgesehen von dem irren Zustand ihres Kleides umgab Michaela eine Aura des absolut Bösen, das man auf keinen Fall in die Nähe eines schutzlosen Kindes lassen sollte. »Ist der Besuch genehmigt?« Ihre Hand schloss sich um den Griff der Pistole, die in ihrer Hosentasche steckte.
Michaela holte schnell und weit mit der Hand aus, wie sie es schon einmal getan hatte. Nur diesmal war Raphael nicht dabei, um das Schlimmste zu verhüten. Ein brennender Schmerz auf Elenas Wange, sie spürte etwas Feuchtes, und ihre Haut klaffte auseinander, als sei sie mit einer Rasierklinge aufgeschlitzt worden.
»Ich brauche keine Genehmigung.« Langsam verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln. »Wusstet du, dass man auch Unsterbliche mit Narben zeichnen kann?«.
Einen Moment lang hatte Elena das Gefühl, sie sähe etwas Befremdliches in diesen Augen, ein rotes Flackern. Aber als sie ein zweites Mal hinschaute, blickte sie nur in ein grelles Grün. »Vielleicht«, sagte sie und holte die Waffe hervor, »haben Sie überhaupt nichts mit Sams Verletzungen zu tun, aber der Junge steht unter Raphaels Schutz. Sie erschrecken ihn zu Tode, wenn Sie in diesem Aufzug zu ihm hineingehen.«
Michaela ignorierte den letzten Teil. »Wartest du etwa darauf, dass Raphael dich rettet?« Sie lachte glockenhell. »Er fliegt gerade mit Elias über das andere Ende der Zufluchtsstätte. Offenbar hat man dort die Leiche eines Engels gefunden.«
»Tatsächlich?« Zum Teufel mit ihrem Stolz, sie sandte Raphael einen mentalen Hilferuf, in der Hoffnung, ihr Engel würde sie hören. Raphael!
Ein leichtes Schulterzucken. »Ich sehe mir jetzt das Kind an.«
Elena wurde gegen die Wand geschmettert, ihre Zähne rammten sich in ihre Unterlippe, der Kopf wurde so hart nach hinten gerissen, dass sie Sterne sah. Sie versuchte, den Schwindel wegzublinzeln, kämpfte gegen die unsichtbaren Ketten an, die sie an die Mauer schmiedeten. Mit einem dumpfen Aufprall fiel die Waffe zu Boden.
»Oh, du blutest ja.« Michaela presste ihre Lippen sanft auf Elenas, in diesem makaberen Kuss steckten Heimtücke und …
Moschus und Orchideen … mit einer Spur ätzender Säure.
Die Schwingen des Grauens überschatteten ihre Stirn. Denn die letzte Duftnote, Säure gepaart mit Sonnenlicht, gehörte nicht zu Michaela. Dies war der Duft eines Erzengels, der über dem pechschwarzen Manhattan seinen Tod gefunden hatte. Aber Uram hatte Michaela lange genug in den Fingern gehabt, um ihr das Herz herauszunehmen. Die Frage war nun, was hatte er ihr stattdessen gegeben?
»Ich könnte dich auf der Stelle umbringen«, murmelte der weibliche Erzengel an Elenas Mund, »aber es ist viel unterhaltsamer, dabei zuzusehen, wie Raphael deiner langsam überdrüssig wird.« Ein zweiter Schnitt, diesmal durch Elenas andere Wange, es roch nach Eisen, und Elena blutete das Herz bei Michaelas Worten. »Dann bist du nur noch ein Klumpen Fleisch, leichte Beute für jeden, der einmal einen geschaffenen Engel kosten möchte. Wir werden viel Zeit zum Spielen haben.«
Sekunden später schon war sie einem rostroten Wirbelwind gleich den Gang
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