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Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Titel: Gilde der Jäger 02 - Engelszorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. Singh
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und Michaela drohte mit dem Finger. »Welchen Körperteil möchtest du als ersten loswerden?«
    Oh mein Gott! Oh mein Gott! Elena wusste, dass sie nicht die geringste Chance hatte, Michaela aufzuhalten, wenn es schon zwei viel älteren Unsterblichen nicht gelungen war – der Erzengel würde ihr das Herz zerquetschen, bevor sie überhaupt nach ihrer Waffe greifen, geschweige denn diese abfeuern konnte. Wo bleibst du nur, Raphael?
    Schäumende Wogen schlugen über ihrem Geist zusammen, ein wütender Sturm. Ich bin auf dem Weg zu dir. Beruhige sie. Sind ihre Kräfte erst einmal entfesselt, wird sie die gesamte Zufluchtsstätte zerstören.
    In der nächsten Sekunde schon hatte Elena ihre Entscheidung getroffen, sie wischte sich mit dem Handrücken über ihre immer noch blutenden Lippen. »Ich bringe Sie zu Sam.«
    Der weibliche Erzengel wartete.
    Warnend stellten sich Elenas Nackenhaare auf, als sie voranging und hinter sich das Rascheln von Michaelas Seidenkleid vernahm. Galen und Venom sind beide k.o. Galen hatte einmal kurz die Augen aufgeschlagen, aber mit Venom sah es schlimm aus, sehr schlimm. Ich glaube, sie hat ihm das Rückgrat gebrochen, vielleicht auch das Genick. An einem Genickbruch konnte auch ein Vampir sterben, wenn er noch genügend andere Verletzungen hatte.
    Noch ist er nicht tot.
    Das letzte Wort klang barsch. Elena wurde kalt ums Herz. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal um Venom trauern würde, aber er hatte sein Leben dafür geopfert, um ein Kind zu schützen. Und das wertete ihn moralisch auf, machte ihn zu einem weitaus besseren Wesen als einen Erzengel, der in einem Anfall von Wut kurz davorstand, die Zufluchtsstätte dem Erdboden gleichzumachen. Elena musste sofort wieder an einen anderen Erzengel denken, einen, der mit Gift vollgepumpt gewesen war. Wie viel von Uram steckte in Michaela?
    Mit klopfendem Herzen trat Elena vor die Glasscheibe, hinter der Sam friedlich schlief. Aus den Augenwinkeln sah sie Keir herbeieilen und versuchte ihn sogleich mit einer wilden Handbewegung zu warnen, aber Keir schüttelte bloß den Kopf. »Sam ruht sich aus«, sagte er ganz unbefangen, als würde er nicht gerade neben einer nuklearen Sprengladung stehen. »Der Heilungsprozess verläuft überaus günstig.«
    »Wird er Narben zurückbehalten?«
    Elena fand Michaelas Frage äußerst befremdlich, bis ihr klar wurde, dass Michaela nicht die oberflächlichen Verletzungen im Sinn hatte.
    »Nein, er wird keine bleibenden Schäden davontragen.« Keir legte beruhigend die Hand auf Michaelas Arm und ließ sich durch die Hitze ihrer glühenden Haut nicht irritieren. »Er wird ganz normal aufwachsen.«
    Michaela berührte vorsichtig die Glasscheibe. »Er wirkt so schwach.« Wellenartig ebbte ihr Glühen ab. »So zerbrechlich.«
    »Das sind Kinder immer«, sagte Keir sanft, in dem jungen Gesicht wirkten die Augen uralt. »Das ist das Risiko, das wir eingehen.«
    »Zu groß«, flüsterte Michaela. »Das Risiko ist zu groß.«
    Dieses Bild brannte sich für immer in Elenas Gedächtnis ein: ein in Blut gekleideter Erzengel von vollkommener Schönheit, die zitternden Hände an Glas gepresst, so aufgelöst, dass Elena vor Rührung einen Kloß im Hals bekam. Was wäre wohl aus Michaela geworden, wenn sie ihr Kind nicht verloren hätte? Hätte ihre selbstsüchtige Art, die ihr ganzes Denken und Handeln bestimmte, vielleicht zu etwas Größerem reifen können? Oder hätte sie wie Neha ihr Kind in ihr eigenes vergiftetes Ebenbild verwandelt?
    »Am besten, man bricht ihnen gleich nach der Geburt das Genick.«
    Elena zog ihre Pistole. Wenn Michaela auch nur eine einzige falsche Bewegung machte, würde sie ihr, noch bevor sie sich umdrehen und sie entwaffnen konnte, ihr ganzes Magazin in den Flügel geleert haben. Denn wenn sie sich zwischen Sams sicherem Tod und der Gefahr möglicher Querschläger entscheiden musste, nahm sie eindeutig die Querschläger in Kauf.
    »Meinen Sie nicht?«, sagte sie in einem Ton zu Keir, der ihn aus seinen Gedanken schreckte.
    »Wir töten unsere Kinder nicht.«
    Stille. Als der Erzengel sich von der Scheibe löste, war sein Gesicht so wie immer: makellos und unbarmherzig. Mit einem Kopfnicken wandte Michaela sich zum Gehen und entschwebte in einer Wolke aus bronzefarbenen Flügeln und weißer, dunkelrot gefärbter Seide. Ihre Schönheit wirkte noch lange nach.
    Zitternd stieß Elena die Luft aus. Sie ist weg.
    Bring Keir zu Venom.
    Elena war mit Keir schon auf dem Weg. So trafen sie auf Galen –

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