Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
schimmerte im Sonnenschein, als wäre jede einzelne Strähne mit Diamantstaub überzogen.
Dem Haar entsprechend war auch sein Teint. Bleich, so bleich – man hätte ihn für eine Marmorstatue halten können, wäre da nicht dieser goldene Glanz gewesen, der ihn in einen lebendigen, atmenden Mann verwandelte. Alabaster im Sonnenlicht, so könnte man seinen Teint beschreiben, dachte sie.
Und dann diese Augen.
Die schwarzen Pupillen gingen über in gezackte Ringe aus kristallklarem Grün und Blau. Immer wieder konnte man in diese Augen blicken und doch nichts anderes sehen als nur das eigene Spiegelbild. Sie waren mehr als durchsichtig, mehr als durchscheinend und trotzdem undurchdringlich.
Seine Flügel waren weiß. Makellos weiß und von demselben diamantenen Glanz wie sein Haar. In der Wintersonne glitzerten die Flügel so hell, dass Elena die Augen abwenden musste. Er hätte schön genannt werden können. Und das war er auch. So schön, wie niemals ein Mensch hätte aussehen können. Doch er schien der Welt so entrückt, dass man eine Statue oder ein Kunstwerk vor sich zu haben glaubte.
Tatsächlich war dieser Engel einer von Raphaels Sieben. Er hieß Aodhan und trug auf dem Rücken zwei Schwerter, deren Griffe schmucklos waren bis auf ein Symbol, das einem keltischen Knotenmuster glich und sich dennoch von diesen abhob in seiner Einzigartigkeit. Wenn sie ihn besser kannte, würde Elena ihn danach fragen, doch bis jetzt hatte er so wenig gesprochen, dass selbst der Klang seiner Stimme ihr noch fremd war. Nach Illiums Späßen, Venoms bissigen Bemerkungen und Dmitris Anzüglichkeiten kam ihr sein Schweigen seltsam vor. Aber so konnte sie sich voll und ganz auf ihre ungewohnte Umgebung konzentrieren.
Als sie an einer Treppenflucht vorbeikamen, fiel ihr Blick auf eine ganz besondere Holzschnitzarbeit am Fuß der Treppe. Sie stieg die Stufen hinab und war nun auf einer Höhe mit dem Haupthof, links von ihr ein Baum, winterlich kahl, rechts das Holzpaneel. Die anwesenden Höflinge nahmen keine Notiz von ihr, und Elena tat es ihnen gleich, widmete sich stattdessen der Holzschnitzerei.
Sobald sie sie berührt hatte, wusste sie, dass sie alt war. Schon immer hatte sie das Alter von Dingen, besonders Gebäuden, gut schätzen können. Und dieser Holzschnitt war mindestens mehrere Jahrhunderte alt. Mit größter Sorgfalt war eine Szene herausgearbeitet worden, die das Leben bei Hof darstellte. Lijuan saß auf ihrem Thron, zu ihren Füßen tanzten Höflinge, und Akrobaten vollführten ihre Kunststücke. Nichts Ungewöhnliches … aber dennoch. Stirnrunzelnd betrachtete sie ihn erneut.
Da.
»Das ist ja Uram.« Eigentlich hätte es sie nicht weiter überraschen sollen, hier auf eine Darstellung von Uram zu stoßen. »So habe ich ihn noch nie gesehen.« Neben der eleganten Lijuan war seine dunkle Schönheit geradezu unwiderstehlich. »Ich habe ihn nur als Monster kennengelernt.«
Elena war überrascht zu hören, dass in Aodhans Stimme die ganze Musik des Landes der grünen Hügel und Elfengräber lag. »Das war er auch damals schon«, antwortete er.
»Ja«, sagte sie, überzeugt, dass solche Verderbtheit nicht über Nacht gekommen sein konnte. »Aber wahrscheinlich hat er es damals besser verbergen können.«
Gerade wollte sie einen schmalen Weg einschlagen, als ihre Instinkte sie davon abhielten. Elena machte kehrt und sah einen Engel auf sich zukommen. Seine Augen waren bernsteinfarben, ebenso seine Flügel, die Haut dunkler als die Naasirs.
Auch wenn sie ihm noch nie begegnet war, erkannte sie ihn. Nazarach.
Ashwini hatte mit Grauen in der Stimme von ihm gesprochen.
»Die Schreie dort, Ellie.« Sie erschauderte, ihre braunen Augen verdunkelten sich, wurden pechschwarz. »Mehr als irgendjemand sonst ergötzt er sich an Leid und Schmerz.«
»Raphaels Jägerin.« Der Engel neigte den Kopf zum Gruß.
»Elena.« Sie fuhr in die Tasche und schloss die Hand um die Waffe. Das Kurzschwert, für das sie und Galen sich entschieden hatten, da es ihr für ihre Kampftechnik am besten lag, hing an ihrer rechten Hüfte. Aber selbst Galen hatte einsehen müssen, dass das Schwert nur im Notfall zum Einsatz kommen konnte – im Kampf gegen andere Engel war sie damit einfach noch nicht schnell genug.
»Ich bin Nazarach.« Seine bernsteinfarbenen Augen wanderten zu Aodhan. »Dich habe ich ja schon seit Jahrhunderten nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen.«
Aodhan antwortete nicht, aber Nazarach erschien auch keine Antwort zu
Weitere Kostenlose Bücher