Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
harte Brustwarze. »Nein.«
»Tut mir leid« – sie schlang die Arme um seinen Hals – »aber ich kann nicht zulassen, dass du dich hier wie ein Tyrann aufführst.« Und Elena würde sich auch nicht von ihrer Wut hinreißen lassen. Was sie beide verband – diese primitiven, schmerzlich schönen Gefühle –, war alle Mühe wert. »Und ich werde ganz gewiss keine Marionette aus mir machen lassen. Nicht von Lijuan und schon gar nicht von dem Mann, der zu mir gehört.«
Raphael antwortete ihr nicht darauf, sah sie nur aufmerksam und abwartend an. So hatte er sie auch bei ihrer ersten Begegnung angesehen. Damals hatte sie befürchtet, er könnte sie umbringen. Jetzt wusste sie, dass er das nie tun würde. Allerdings … könnte er ihr wehtun, wie es nur ein Unsterblicher vermochte. Vielleicht hätte sie klein beigeben sollen, aber das war noch nie ihre Art gewesen.
»Warum hast du so schlechte Laune?«, fragte sie und rieb zärtlich ihre Nase an seiner; das Vertrauen zwischen ihnen war nur ein dünner Faden, den ein einziges unbeabsichtigtes Versehen zerreißen konnte.
Frische Seeluft strömte auf sie ein, sie konnte die Gischt beinahe mit den Händen greifen. Die Stille war angefüllt mit Ungesagtem und hing bedrohlich über ihnen wie ein Damoklesschwert. Ihr brach der Schweiß aus, aber sie ließ ihn nicht los, kämpfte um eine Beziehung, die aus dem Nichts entstanden und nun zur wichtigsten Sache überhaupt geworden war.
Elena. Schmeichelnd strich das Wort durch ihren Geist, und Raphael ließ den Kopf in ihre Halsbeuge sinken.
Vor Erleichterung schlug ihr das Herz bis zum Hals, die Gefahr war vorüber, sie streichelte ihm übers Haar und schmiegte sich an ihn. »Du hast deine eigenen Albträume«, sagte sie, und wie nach einem klärenden Gewitter sah auch sie auf einmal ganz klar. »Und heute waren sie besonders schlimm.«
Beide Arme um sie geschlungen, zog er sie noch fester an sich. Sie ließ es geschehen, denn sie brauchte seine Nähe und Wärme genauso sehr wie er die ihre. Und war das nicht unglaublich? Der Erzengel von New York brauchte sie. Sie, Elena Deveraux, Gildenjägerin und verstoßene Tochter. Sie drückte ihn heftig an sich und küsste ihn auf die Schläfen, die Wangen, auf alle Stellen, die ihre Lippen erreichten.
»Irgendetwas liegt in der Luft«, entfuhr ihr fast unhörbar. »Ich kann überhaupt nicht mehr aufhören, an meine Mutter und meine Schwestern zu denken.« Es war das erste Mal, dass sie von ihren Albträumen sprach. Selbst ihre beste Freundin kannte die wahre Geschichte ihrer Kindheit nicht, wusste nichts von dem Bösen, das sie verfolgte und ihr die Luft zum Atmen nahm.
»Wie heißen sie?« Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrem Hals, seine starken Arme hielten sie fest umschlungen.
»Das weißt du doch.«
»Nur die nackten Tatsachen.«
»Meine Mutter«, sagte sie und schmiegte sich an ihn, »hieß Marguerite.«
Elena. Ein Kuss in Gedanken, sein Duft umgab sie ebenso sicher wie seine Arme.
Ihre Unterlippe zitterte, bis sie sie mit den Zähnen zu fassen bekam. »Seit der Heirat mit meinem Vater hat sie in den Vereinigten Staaten gelebt, aber sie sprach immer noch mit einem starken französischen Akzent. Mit ihrem Lachen und ihren geschickten Händen war sie ein bezaubernder, wunderschöner Schmetterling. Ich habe zu gerne bei ihr in der Küche oder in der Werkstatt gesessen und zugehört, wenn sie bei der Arbeit Geschichten erzählt hat.«
Marguerite hatte Quilts genäht, schöne Einzelstücke, deren Verkauf genug eingebracht hatte, um einen kleinen Notgroschen anzulegen. Nichts im Vergleich zu dem großen Vermögen ihres Mannes, aber dafür hatte sie ihres voller Liebe an ihre Töchter weitergegeben, wohingegen Jeffrey … »Sie hätte es nie zugelassen, dass sich mein Vater so verhält.«
»Er ist nur deshalb noch am Leben, weil ich weiß, dass du ihn liebst.«
»Ich sollte es nicht, aber ich komme nicht dagegen an.« Ihre Liebe zu ihrem Vater war so tief verwurzelt, dass selbst jahrelange Vernachlässigung sie nicht vollkommen auslöschen konnte. »Früher habe ich mir immer gewünscht, dass mein Vater statt meiner Mutter gestorben wäre, aber ich weiß, dass meine Mutter mir das sehr übel genommen hätte.«
»Deine Mutter hätte dir vergeben.«
Nur zu gerne hätte Elena ihm geglaubt. »Sie war die Seele unserer Familie. Nach ihrem Tod ist alles mit ihr gestorben.«
»Erzähl mir von deinen verstorbenen Schwestern.«
»Wenn Mama die Seele war, dann waren Ari
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