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Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Titel: Gilde der Jäger 02 - Engelszorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. Singh
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nicht, wichtig war es, die Flügel zu bewegen. Doch dafür war es schon zu spät, der Boden kam rasend schnell auf sie zu.
    So weich konnte Schnee überhaupt nicht sein – sie würde sich immer noch alle Knochen brechen.
    Hände griffen ihr unter die Arme und hoben sie mühelos empor. Zieh die Flügel ein!
    Elena gehorchte, auch wenn ihr das Adrenalin, das ihr durch die Adern jagte, das Gegenteil befahl. Sobald sie festen Boden unter den Füßen hatte, fuhr sie herum und gab ihm einen kräftigen Stoß, der ihre Hände brennen ließ, als sie seine nackte Haut berührten. »Ist das deine Art zu unterrichten? Meine einzelnen Körperteile hätten von hier bis nach Manhattan verstreut werden können.«
    »Du bist überhaupt nicht in Gefahr gewesen.«
    Vor Freude hatte er ganz glänzende Augen, und das brachte sie noch mehr auf. »So lernen also junge Engel das Fliegen, ihr stoßt sie aus dem Horst, bevor sie irgendwelche Ängste entwickeln können.« Ihr Unwillen legte sich wieder, doch das Herz klopfte ihr immer noch bis zum Hals. »Ihr schubst die Kleinen einfach hinunter?«
    »Was glaubst du denn, wie Vögel fliegen lernen?«
    »Hm.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, das Hemd war klamm und klebte ihr auf der schweißnassen Haut. »Weiß du, ich bin erwachsen – und ich habe schon Bekanntschaft mit der Angst gemacht.«
    »Genau deshalb habe ich dich auch vorher nicht gewarnt. Instinktiv hast du genau das Richtige getan.«
    In der Hoffnung, sich etwas abzukühlen, legte sie die kalten Hände auf ihre heißen Wangen. Dann atmete sie tief durch, knotete das heraushängende Hemd an den Seiten zusammen und ging zurück zum Hang. »Okay, schubs mich noch mal.«
    »Das kannst du auch alleine, mach einfach einen Schritt nach vorn.«
    Schon vor langer Zeit hatte Elena gelernt, ihre Furcht zu verbergen, denn im Zweifelsfall konnte Schwäche immer gegen einen verwendet werden, doch diesmal gab sie es rundweg zu: »Ich habe Angst davor.«
    Raphael küsste ihren Nacken und legte ihr wieder seine Hände um die Hüften. »Öffne diesmal die Flügel so schnell wie möglich.«
    Sie nickte, und noch bevor sie sich richtig aufstellen konnte, hatte er ihr auch schon einen Stoß versetzt. Drei Sekunden dauerte es, bis sie die Flügel ausgebreitet hatte. Zu langsam. Raphael brachte sie wieder hinauf. Und wieder. Und wieder.
    »Einmal noch«, sagte sie, ihre Muskeln schmerzten von der Anstrengung. »Ich muss es schaffen.«
    Raphael sah sie zweifelnd an, nickte dann aber. »Einmal noch.«
    Doch trotz all ihrer Willensstärke merkte sie, dass ihr die Kräfte immer mehr schwanden. Ein letztes Mal trat sie an den Rand, machte ein paar Schritte zurück. »Mit Anlauf geht es vielleicht besser.«
    »Denk daran, dass du die Flügel ausbreitest, sobald du in der Luft bist, sonst zieht es dich unweigerlich nach unten.«
    Sie nickte kurz und strich sich die verschwitzten Haare aus dem Gesicht. Dann stellte sie sich vor, wie sie flog, und lief auf den Abhang zu. Sekunden später schon war sie in der Luft, und erst der Widerstand in den Schultern machte ihr klar, dass sie die Flügel schon geöffnet hatte.
    Einen winzigen Moment lang stieg sie sogar leicht auf, doch dann fiel sie wieder. Nur dass sie diesmal mehr Kontrolle über sich hatte.
    Ihre Landung war nicht im Entferntesten mit einer von Raphael zu vergleichen. Sie schlug mit den Knien auf, und weil sie zu viel Schwung hatte, fiel sie vornüber auf ihr Gesicht. Dennoch lächelte sie, als sie aufblickte. »Ich hab’s geschafft!«
    Der Erzengel war neben ihr in die Hocke gegangen und sah sie mit vor Stolz leuchtenden Augen an. »Daran habe ich keinen Moment gezweifelt.« Er sah ihr zu, wie sie sich den Schnee aus dem Gesicht wischte. »Morgen wird dir jeder Knochen wehtun, als hätte man dich verprügelt, aber du musst weiter üben.«
    »Das weiß ich. Es gilt das Gleiche wie für mein normales Trainingsprogramm.«
    »Aber sag mir, wenn du ernsthaft Schmerzen hast.« Seine Finger glitten unter ihr Kinn. »Es ist besser, kleine Verletzungen ausheilen zu lassen, bevor sie sich zu größeren auswachsen.«
    »Besonders, da wir uns beeilen müssen.« Sie sah ihn an, selbst noch in der dunklen Winterlandschaft leuchteten seine Augen. »Meinst du, Lijuan wird meine Unerfahrenheit mit meinem neuen Körper gegen mich verwenden?«
    Mit einem nachdenklichen Nicken ließ er ihr Kinn los. »Sie wird jede nur erdenkliche Waffe verwenden.«
    »Aber warum nur?«
    »Um sich die Langeweile zu vertreiben.«

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