Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
urteilen, mit dem es über den Boden glitt, musste es riesig sein.
So in die Ecke gedrängt, hatte sie keine Chance, gegen dieses Ding etwas auszurichten, aber sie hatte keine Zeit, um … »Idiotin, verdammt !« In dem Augenblick, als ihr der Gedanke durch den Kopf schoss, war sie auch schon in Bewegung, rollte sich nach rechts ab, hinein in den Abgrund, und breitete die Flügel weit aus, um ihren Fall zu regulieren. Sie hatte das sichere Gefühl, dass sie den Boden nicht berühren wollte – nur der Teufel wusste, was sie dort unten erwartete –, aber sie konnte den Raum um sich herum zum Manövrieren nutzen. Den Gedanken, dass dieser Spalt zuschnappen und alles Leben aus ihr herausquetschen könnte, ließ sie erst gar nicht zu – vielleicht, ganz vielleicht, hatte Caliane genug gehört, um ihr eine Chance zu geben.
Sie drehte sich so, dass ihr Blick sich auf die letzte Position der Kreatur richtete, schlug mit den Flügeln und ließ das Kurzschwert durch die Luft sausen. Ein Wutschrei – und der dicke, stechende Geruch blutiger Flüssigkeiten sagte ihr, dass sie einen Treffer gelandet hatte. Ihre Freude währte nur einen Augenblick, dann flammte ein Schmerz in ihrer linken Seite auf, und sie musste feststellen, dass das Wesen sie erneut angespuckt hatte.
Es fühlte sich an, als würde ihr das Fleisch von den Knochen geschält. Tränen strömten ihr über das Gesicht, sosehr sie auch dagegen ankämpfte. Sie wusste, dass sie keine Schwäche zeigen durfte. Dann spürte sie ein Ziehen in ihrem linken Flügel und ihr wurde klar, dass die Säure etwas Wichtiges getroffen hatte. Während sie darum kämpfte, nicht zu fallen, prallte sie gegen eine Wand innerhalb des Loches und spürte, wie die raue Oberfläche ihr die Haut an den Armen und im Gesicht aufschürfte, bis das bloße Fleisch freilag.
In der nächsten Sekunde hörte sie ein Gleiten unter sich.
Jesus. Sie schluckte hart und schlug mit dem gesunden Flügel schneller, um aufzusteigen, schaffte es jedoch nur, ihren Fall ein wenig abzubremsen. Erzengel, wenn du noch irgendein Ass im Ärmel hast, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.
Mit einem krachenden Geräusch und so grellem Licht, dass sie aufschrie und sich den unverletzten Arm vor die Augen hielt, regneten Felsbrocken und Steine von oben auf sie herab … und feuchte, schleimige Dinge. Als sie sich zur Seite duckte, schrammte sie an der schroffen Oberfläche des unbearbeiteten Steins entlang, bis ein Flügel vollständig in sich zusammenfiel. »Raphael! Hier unten !«
Ein Fingernagel riss ab, noch einer, Blut troff über ihre Haut. Beeil dich!
Starke Hände packten ihre Schultern. Zwei Sekunden später wurde sie durch das klaffende Loch hinausgeschleift, das einmal die Tür gewesen war. Sie blinzelte gegen die plötzliche Helligkeit an und versuchte zu sprechen. Doch sie brachte kein Wort heraus, weil sie die Zähne zusammenbeißen musste. Die Schmerzen in ihrer linken Seite breiteten sich inzwischen auch über die rechte aus.
Raphael strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Ich hab dich, Elena. Ich hab dich .« Die Wärme seiner Hände sickerte langsam durch ihre Haut und vertrieb die teuflischen Schmerzen, die sich anfühlten, als wären ihre Organe in ein riesiges Mahlwerk geraten.
Sie gab dem Verlangen nach, das Gesicht an seiner Brust zu vergraben, und klammerte sich an sein feuchtes Hemd, während er sie mit seiner Macht heilte. Er war groß und stark und warm, und sie wollte ihn bis auf die Haut ausziehen und sich um ihn schlingen, bis nichts anderes mehr einen von ihnen berühren konnte. Sie sog hörbar die Luft ein, als seine Hand über ihre noch immer brennende Hüfte strich, dann schob sie energisch das Kinn vor und hielt durch, die Finger so fest in sein Hemd gekrallt, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Schneller als erwartet, war der Schmerz nur noch Erinnerung.
»Wie schlimm ist es ?« , fragte sie an seiner Brust. »Mein Flügel ?« Er fühlte sich tot an, so als wäre er nicht mehr da. Nein, bitte nicht!
33
Seine Arme umfingen sie. »Das Gift der Kreatur war nicht so schlimm wie Anoushkas .«
»Nicht gerade beruhigend, Erzengel .«
»DeinFlügelwargelähmt,nichtverletzt – dieSäurehattenichtgenugZeit,sichdurchdieSehnenunddenKnochenzufressen.IneinpaarMinutenwirstduwiederfliegenkönnen .«
Zitternd vor Erleichterung setzte sie sich auf – und sah an sich hinunter. In ihrer Kleidung waren kleine und große Löcher, und darunter kam ihr Fleisch zum Vorschein. Und es
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