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Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)

Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)

Titel: Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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seine Mutter mit ihm geschimpft. Er musste die Flügel immer anheben, um seine Flugmuskeln zu kräftigen, aber er war so müde und so hungrig. »Es tut mir leid, Mama«, flüsterte er wieder. »Ich verspreche dir, es morgen besser zu machen.« Wenn sie wieder erwacht war.
    Draußen blendete ihn die Sonne mit all ihrer Kraft, das Licht reflektierte auf dem weißen Sand, der hinter dem sattgrünen Garten seiner Mutter begann, und dahinter lag das Wasser als endloser blauer Horizont. Er blinzelte, bis die Punkte vor seinen Augen verblassten, dann setzte er seinen Weg fort. Die von der Sonne getrocknete schwarzbraune Spur führte um das Haus herum zu den Überresten des kleinen Schuppens, in dem sein Vater Dinge gebaut hatte – wie das Spielzeug, das Jason so geliebt hatte.
    Vorher.
    Noch stieg von den eingestürzten Trümmern, die von der Werkstatt seines Vaters übrig waren, Rauch auf, aber das Feuer hatte ein reichhaltiges Mahl genossen und legte sich nun zur Ruhe. In den herabgefallenen Balken glomm letzte Glut. Er wusste, dass er sich von Feuer fernhalten sollte, aber dennoch ging er hinein und schob die noch warmen Trümmerteile mit den Händen beiseite. Als die Glut seine Haut verbrannte und seine Flügel versengte, schüttelte er den Schmerz ab und machte weiter, schob die Asche und die verkohlten Holzklumpen mit den Füßen beiseite, bis er den Kopf seines Vaters sah.
    Der nackte Schädel rollte über den Boden, die Augenhöhlen waren leer. Der Körper seines Vaters – schwarz verkohlte Knochen – lag in einem anderen Teil des kleinen Hauses, und Jason wusste, dass sein Vater seine eigenen Organe und die von Jasons Mutter verbrannt hatte, ehe er sich mit diesem Hackding, das er gebaut hatte, selbst den Kopf abgeschlagen hatte. Und er hätte auch Jason den Kopf abgehackt, hätte dieser einen Laut von sich gegeben, als sein Vater ihn gerufen hatte – nachdem die Schreie aufgehört hatten und das Blut durch die Falltür zu sickern begann.

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    Aber vielleicht hatte sein Vater etwas falsch gemacht, dachte er plötzlich, und ein heller Stern der Hoffnung erstrahlte in ihm, vielleicht hatten die Organe seiner Mutter doch überlebt?
    Wieder durchwühlte er die Asche, sein Gesicht brannte, und seine Haut wurde schwarz vom Staub. Er grub und suchte und hinterließ eine klebrig rote Spur, als sich seine verbrannte Haut ablöste und seine zerschundenen Hände zu bluten begannen. Erst als die Nacht hereinbrach, begann er einzusehen, dass es hier nichts zu finden gab.
    Die inneren Organe seiner Mutter waren zu Asche verbrannt.
    »Nur sehr mächtige Unsterbliche können aus der Asche eines Feuers wiederauferstehen.« In ihren braunen Augen glänzten sowohl Erleichterung als auch Besorgnis. »Deshalb darfst du niemals mit dem Feuer spielen, Jason. Selbst ich würde kein Feuer überleben, das mein Herz und meinen Geist erreicht, und du bist noch ein kleines Kind.«
    Seine Flügel schleiften über den Boden, als er unter dem Halbmond zur nächstgelegenen Lagune lief und sich in dem warmen, flachen Wasser wusch. Seine Mutter mochte es nicht, wenn er schmutzig ins Haus kam, also wusch und wusch er sich, bis alles Blut und aller Staub von seinem Leib verschwunden waren. Das Salzwasser brannte auf seiner wunden und verletzten Haut. Die schmutzigen Kleider legte er auf der Veranda ab, von wo seine Mutter sie immer zum Waschen einsammelte. Vor dem Haus breitete er seine nassen Flügel aus und schüttelte sie, ehe er hineinging.
    Mama hatte ihn immer auf die Wange geküsst und seine Flügel mit einem weichen Tuch trocken getupft, aber heute musste er das selbst tun. Es war schwer – seine Flügel waren größer als sein Körper, und er kam nicht überall hin.
    »Hier entlang, Hummelchen.«
    Beim Klang dieser Erinnerung breitete er das Tuch auf dem Boden aus und legte sich darauf, wie Mama und sein Vater es einst getan hatten, als sie beide lachend vom Schwimmen gekommen waren. Ihre Flügel hatten in der Sonne geglitzert, während er voller Freude wie »eine große Hummel« über ihnen im Kreis geflogen war. Das war eine schöne Erinnerung aus der guten Zeit. Später war sein Vater zu einem Fremden geworden und hatte seine Mutter im Schlafzimmer eingeschlossen, wo sie diese leisen, leidenden Geräusche machte, bei denen sich alles in Jason zusammenzog, bis er keine Luft mehr bekam.
    Als er trocken war, zog er saubere Kleidung an. Eigentlich durfte er im Haus keine Schuhe tragen, aber er dachte, dass es diesmal bestimmt in Ordnung

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