Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
als er sie umarmte und sie an sich zog, brannten Tränen hinter ihren Augenlidern. Ihre Hände lagen unter seinen Schwingen, seine Arme auf ihren Flügeln, und es war, als hätten sie sich schon immer auf diese Weise umarmt und würden es auch in tausend Jahren noch tun.
»Mein Vater«, murmelte Jason, die Wange an ihre Schläfe gelehnt, »war ein unglaublich talentierter Mann, der von wildem, leidenschaftlichem Ungestüm getrieben wurde. Seine Nene bedeutete ihm mehr als alles und jeder andere in seinem Leben.«
Schwarze Flügel umfingen sie in mitternachtsgleicher Zärtlichkeit. »Vielleicht wäre die leidenschaftliche Bindung an meine Mutter gemildert worden, wenn die beiden in Frieden hätten in der Welt leben dürfen. Vielleicht war die Dunkelheit auch der Preis, den er für sein Talent zahlen musste, aber er hat sie so sehr geliebt, dass es zur Besessenheit wurde und er nach und nach all ihre Freunde mit seiner Eifersucht vertrieb. Selbst Freundinnen waren ihm nicht willkommen – er glaubte, sie wollten sie mit ihren Geschichten aus der Zufluchtsstätte von ihm fortlocken.«
Und zurück blieben eine Frau und ein Kind, dachte Mahiya, allein mit einem Mann, dessen Liebe einer Schlinge glich. »Deine Mutter …« Sie unterbrach sich. Zu spät erkannte sie, dass ihm diese Frage entsetzlichen Schmerz bereiten musste.
Aber er wusste, was sie nicht ausgesprochen hatte. »Sie hatte sich gegen den Wunsch ihrer Familie gewandt, als sie sein Werben akzeptierte, doch nicht ihr Stolz hielt sie davon ab, mit mir in die Zufluchtsstätte zurückzukehren, sondern die Liebe.« Seine Arme schlossen sich fester um sie. »Selbst als seine Eifersucht sich so weit steigerte, dass er sich einbildete, sie bekäme Besuch von einem heimlichen Liebhaber, während er auf den nahe gelegenen Inseln Früchte erntete. Selbst als er anfing, sie auf eine Art zu verletzen, die keine Spuren hinterließ – bis auf die in ihren Augen.«
Mahiya wollte seine Mutter wütend anschreien, wollte sie schütteln. Warum hatte sie ihren Sohn nicht vor diesem Grauen geschützt? Doch trotz ihrer stummen Schreie über den Schmerz, der den Mann in ihren Armen geformt hatte, wusste sie, dass es mit Gefühlen nie so einfach war.
Nehas anhaltende Liebe zu Eris war nur ein Beispiel dafür.
»Es tut mir leid«, sagte sie, und in diesen Worten lag all ihr Kummer, all ihr Zorn.
Statt einer Antwort strich ihr Jason über den Rücken, kräftig und gleichmäßig schlug sein Herz an ihrer Wange, sein Körper war ein Glutofen, seine Stärke so unaufhaltsam, dass sie ihr hätte Angst einjagen müssen. Aber es war Jason, und er würde ihr nie etwas tun. Das hatte sie tief in ihrem Inneren gewusst, noch bevor er ihr von seiner Vergangenheit erzählt hatte; und nun verstand sie auch, warum er »verletzten Vögelchen« half.
Eine Lanze aus Schmerz durchbohrte ihren Leib, aber noch stärker war ihr Bedürfnis, Jason aus diesem Grauen zurückzuholen, ihn daran zu erinnern, dass die Welt nicht nur aus Schmerz und Leid und Verlust bestand. Sie zog sich ein kleines Stück von ihm zurück, um ihm in die Augen sehen zu können, dachte über alles nach, was er ihr erzählte hatte, und pflückte sich dann etwas Besonderes heraus.
»Du kannst schwimmen?«, fragte sie in die Stille hinein. Die Nacht umfing sie mit völliger Stille, bis auf das klickende Geräusch, das von der Gegenwart einer neugierigen kleinen Eidechse kündete, ehe ihr leuchtend grüner Leib davonschnellte und in einer Spalte der Tempelmauer verschwand. »Du hast gesagt, du hättest in der Lagune gespielt.«
Die Frage überraschte Jason. Er hatte erwartet, dass die Frau in seinen Armen wissen wollte, wie er es schließlich bis zur Zufluchtsstätte geschafft hatte, doch die Ablenkung von seinen Erinnerungen war ihm sehr willkommen. »Wie ein Fisch. Wenn du möchtest, bringe ich es dir bei.« Über Wasser halten konnten sich alle Engel, denn ihre Flügel gaben ihnen Auftrieb. Aber gerade dieser Auftrieb erschwerte das sportliche Schwimmen und vor allem tiefes Tauchen. Jasons Eltern hatten ihm Tricks gezeigt, um diese Wirkung zumindest für kurze Zeit außer Kraft zu setzen.
»Sehr gern.« Während seines Berichts über den Verlust, der den Lauf seines Lebens für immer verändert hatte, war in seiner Brust eine Eisschicht gewachsen, die nun unter Mahiyas Lächeln dahinschmolz.
»Im Meer«, sagte er und zog sie ein Stück enger an sich, »gibt es genauso viel Freiheit wie am Himmel, wenn man weiß, wie man
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