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Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)

Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)

Titel: Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nalini Singh
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wäre, weil der Boden so schmutzig war. Dann ging er durch die Hintertür, wo seine Mutter die Geräte aufbewahrte, die sie für die Gartenarbeit benutzte. Sie hielt sich gern in der Nähe ihrer großen, gelben Hibiskusblüten auf, dachte Jason, als er zu graben anfing. Es waren ihre Lieblingsblumen – wann immer er ihr eine brachte, steckte sie sich die Blüte hinters Ohr, wo sie »strahlend wie der Sonnenaufgang vor dem seidigen Schwarz« ihrer Haare leuchtete.
    Das hatte sein Vater gesagt und sie geküsst.
    Vorher.
    Er war nur ein Kind. Er brauchte zwei Tage, um das Loch zu graben. Er wollte seine Mutter nicht in die Erde legen, aber trotz der Bettlaken, die er aus den anderen Zimmern geholt und über sie gebreitet hatte, wurden die Fliegen allmählich lästig. Das würde ihr nicht gefallen. Also schleifte er ihre Einzelteile vorsichtig auf einer Matte zu der Grube, die er gegraben hatte, steckte ihr eine Hibiskusblüte ins Haar und deckte sie mit ihrem liebsten, amethystfarbenen Tuch zu. »Ich habe dich so lieb, Mama.«
    Dann begann er, die Erde wieder in das Loch und auf seine Mama zu schaufeln. Lautlos und unablässig liefen ihm die Tränen über die Wangen, allzu gut hatte sich sein Körper eingeprägt, niemals auch nur das kleinste Geräusch zu machen. Als er die Grube ganz aufgefüllt hatte und wusste, dass die kleinen Tiere aus dem Wald sie nicht mehr stören konnten, ging er zum Strand. Dort sammelte er unzählige Muscheln, und schließlich glitzerten und glänzten überall auf ihrem Grab die Spiralen und Schnörkel und das Leuchten des Meeres, und über allem hingen die schweren Hibiskusblüten.
    Dann steckte er die Knochen seines Vaters in einen Sack und schleifte diesen durch das feuchte Dickicht der Bäume. Der Sack war zu schwer, um ihn durch die Luft zu tragen. Er wusste nicht mehr, wie lange er ging und schleppte. Lange. Einige Male machte er Pause. Aber endlich erreichte er die kleine, von Korallenriffen umgebene Lagune, die wie ein fehlgebildeter Zwilling aus dem Hauptatoll herausragte.
    Im Gegensatz zu der Lagune in der Nähe ihres Hauses durfte er in dieser hier nicht spielen. Sein Vater hatte ihm erklärt, es gebe unter der Oberfläche einen Vulkan, dessen Krater weit in die Tiefe reichte. Dieser Vulkan veränderte das Wasser, sodass es in Jasons Augen gebrannt hatte, als er einmal von Neugier getrieben hergekommen war, um ihn zu erkunden.
    Vor Anstrengung hämmerte ihm das Herz gegen die Rippen, als er in die Luft aufstieg und zum Mittelpunkt der gefährlichen Lagune flog, um den Sack in ihr dunkles Herz fallen zu lassen. Dann sah er zu, wie der Sack unter die Oberfläche und in den Schlund des verborgenen Vulkans sank. Als die Lagune seinen Vater verschlang, tat es Jason im Herzen weh – obwohl er seinen Vater hassen wollte, hassen, hassen, hassen!
    Er dachte daran zurück, wie sein Vater ihn über Korallen und andere Meeresbewohner unterrichtet hatte, wie er ihm das Bearbeiten von Holz beigebracht und ihm gezeigt hatte, wie man daraus diese Instrumente baute, die unvergessliche Musik machten. Sein Blick trübte sich, bis er nichts mehr sehen konnte und wusste, dass er zurückfliegen musste, damit er nicht noch in die Lagune fiel. Unter großer Anstrengung flog er hoch in die Luft und weit fort, so weit, wie seine müden Muskeln und schweren Flügel ihn trugen, ehe er anhielt und sich umsah.
    Ihr Atoll bestand aus einem smaragdgrünen Ring, der eine schimmernde Lagune umschloss. Noch konnte er es nicht an einem Tag im Flug umrunden, aber wenn er größer war, wollte er das tun. Seine Mutter hatte gesagt, sie würde mitkommen und ihm all die geheimen Orte zeigen, die sie gefunden hatte. Aber jetzt war sie nicht mehr da.
    Niemand war mehr da.
    Er war ganz allein.
    Während sie Jasons Geschichte folgte, hatte der Gedanke an diesen kleinen Jungen, der so einsam und verängstigt war, Mahiya tausendmal das Herz gebrochen. Aber sie wusste auch, dass der Mann, der vor ihr stand, nicht dieser Junge war, schon seit Hunderten von Jahren nicht mehr. Sie konnte seinen Schmerz nicht fortwischen und ihm sagen, dass alles wieder in Ordnung käme.
    Nur zu gut hatte Jason gelernt, dass manche Dinge durch nichts wieder in Ordnung kommen konnten.
    Es war keine bewusste Entscheidung, auf ihn zuzugehen, es schien einfach richtig. So wie es richtig schien, die Arme um ihn zu legen und ihre Wange an seine Brust zu schmiegen.
    Manchmal sagte eine Berührung viel mehr als alle Worte. Also hielt sie ihn nur fest, und

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