Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Geschäft gemacht zu haben. Aber diese Nadeln schenkten Mahiya ein unbezahlbares Gefühl von Sicherheit in der Nacht. Sie waren ihr eine ständige Erinnerung daran, dass sie kein zerstörtes, erniedrigtes Geschöpf war, sondern eine Frau, die bereit war, für ihr Recht auf ein Leben, auf eine eigene Existenz zu kämpfen.
Ihr Gesicht ließ sie so, wie es war. Ihre Augen zogen schon so genug Aufmerksamkeit auf sich – eine Aufmerksamkeit, die sie nicht begehrte.
»Du hast so hübsche Augen.«
Das halbwüchsige Kind Mahiya verstand nicht, warum ihr bei diesen Worten übel wurde. »Danke.«
Ein leises Lächeln von dem Erzengel, der, wie man ihr gesagt hatte, ihre Tante war. »Es sind die Augen deines Großvaters. Offenbar setzt sich die Blutlinie tatsächlich durch.«
Mahiya schüttelte die sie frieren machende Erinnerung ab, ehe sie in ein Paar flache Schuhe schlüpfte. Ihre Zehen schmiegten sich perfekt in das kristallbesetzte Leder, die Knöchelriemen waren mit passenden Edelsteinen verziert. Niemand konnte behaupten, Neha würde dem Kind, das sie »adoptiert« hatte, nicht allen erdenklichen Luxus angedeihen lassen.
Keine sieben Minuten nachdem sie nach oben gegangen war, war sie wieder unten – und fand Jason vor dem Pavillon im Innenhof vor. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und seine ganze Aufmerksamkeit dem Palast zugewandt, der Eris’ Gefängnis gewesen war. Erleichtert stieß sie den Atem aus und merkte erst jetzt, dass sie ihn angehalten hatte.
Er passt nicht hierher, dachte sie, als sie im Bann seiner herben, männlichen Schönheit auf den Pavillon zuging. Er war ein zu ungezähmtes Wesen für die spiegelnd glatte Eleganz und die förmlichen Regeln in Nehas Königreich. Von der Wildheit des Tattoos, das die linke Seite seines Gesichts bedeckte, bis zum unerbittlichen Schwarz seiner Flügel und den klaren Linien seiner Kleidung – schlichte schwarze Hose, Hemd im gleichen dunklen Farbton, schwarze Stiefel, kein Schmuck – sagte alles an ihm klar und deutlich, dass Jason ein Mann war, der seinen eigenen Weg ging, sich seinen eigenen Pfad bahnte.
Er brachte Neha zwar Respekt entgegen, aber er würde sie niemals als Halbgöttin verehren, dachte Mahiya, als ihr Blick zu seinem Nacken wanderte, wo seine Haare zu einem ordentlichen Zopf zusammengebunden waren … und da bemerkte sie, dass er entlang der Wirbelsäule ein Schwert in einer schwarzen Scheide trug. Die Gurte verschmolzen mit dem Schwarz seines Hemdes. »Im offiziellen Bereich des Hofs gestattet Neha nur den Wachposten, Waffen zu tragen.«
Jason sah ihr fest in die Augen, und obwohl sie wusste, dass es Einbildung war, hatte sie das Gefühl, er würde direkt in ihre Seele blicken und dort Dinge sehen, die sie noch nie einem anderen Lebewesen gezeigt hatte. »Neha«, sagte er, »kennt meine Arbeitsweise.«
Mahiya hatte starke Zweifel daran, ob überhaupt jemand diesen Meisterspion wirklich kannte, aber sie nickte nur knapp und nutzte die Gelegenheit, um den verstörenden Blickkontakt zu unterbrechen. »Sollen wir gehen?«
Jason schwieg, als sie den Innenhof verließen. Sein Schweigen reichte so tief, dass sie es als Teil seiner selbst erkannte – er benutzte es nicht, um sie aus der Ruhe zu bringen. So seltsam das auch war, fand sie es nicht im Mindesten beunruhigend – Jasons Schweigen war etwas Ehrliches, ganz im Gegensatz zu den Lügen, die aus den Mündern so vieler anderer kamen. »Wir werden meine Herrin im öffentlichen Thronsaal antreffen.«
An diesem Tag der Woche war Neha stets für ihre Untertanen da, die persönlich mit ihr sprechen wollten. Paradoxerweise war sie eine gerechte Königin, ob es sich nun um einen Adligen oder einen Bauern handelte. »Es ist noch früh genug, sodass wir sie vielleicht ungestört sprechen können«, fügte sie hinzu, als sie durch ein mit verschlungenen Malereien verziertes Tor traten, das groß genug war, um mehrere Elefanten nebeneinander hindurchzulassen.
Die Festung war voller Leben und hellwach, und Mahiya nickte zahlreichen Leuten zu. Die Frauen waren allesamt eher in zarten Farben statt der leuchtenden Rot-, Gelb- und Blautöne gekleidet, die in dieser Gegend normalerweise bevorzugt wurden, aber im Stil gab es dramatische Unterschiede. Man sah viele elegante Kleider, einige Vampire trugen gepflegte Anzüge, die verrieten, dass sie Geschäften außerhalb der Festung nachzugehen hatten, während andere wiederum schlichte Arbeitssaris trugen. Und dann gab es diejenigen in
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