Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Versprechen. »Solche Dinge sind wichtig und nicht leicht aufzugeben. Aber sie reichen nicht aus, um ein Herz aufzutauen, das seit beinahe siebenhundert Jahren in Eis eingeschlossen ist.«
9
Jason sah aus dem Fenster des Palasts, den er für die Dauer seines Aufenthalts bewohnte. Seine Aufmerksamkeit galt dem kleinen, von Mauern umgebenen Garten auf der Seite von Mahiyas Palast, die den Bergen zugewandt war. Um diesen Ort sehen zu können, hatte er das Zentrum des Hauses durchqueren müssen. Die Prinzessin hatte ihn nicht eigens darauf hingewiesen, als sie ihm seine Suite gezeigt hatte. Er begriff nun, warum.
Anders als der geometrisch angelegte Innenhof hinter ihm schien dieser verborgene Bereich, eingezwängt zwischen dem Palast und der hohen Verteidigungsmauer zum Schutz der Festung, vor langer Zeit als Lustgarten gedient zu haben. Es gab sogar Bewässerungskanäle, dank derer die wild wachsenden Pflanzen trotz der Wüstensonne blühten. Dann war der Garten vergessen worden und durfte ungehindert vor sich hin wuchern.
Die kostbaren Fliesen auf den gewundenen Pfaden zwischen den Blumenbeten verrieten ihm, dass der Garten von jemandem angelegt worden war, der viel Zeit in dieser Umgebung verbringen wollte … oder davon ausgegangen war, dass jemand anders das tun würde. Jemand, der dieser Person so wichtig war, dass sie für ihn ein verborgenes Paradies erschaffen hatte.
Eris.
Sein Verstand stellte die Verknüpfung her, die er gesucht hatte – die Fliesen erinnerten an jene, die er auf den Stufen in Eris’ Palast gesehen hatte. Also war vielleicht ursprünglich dieser Palast als Eris’ Gefängnis geplant gewesen, und der Garten hatte sein Privatbereich sein sollen. Aber Eris hatte die Zeit, die er im Freien verbringen durfte, zu einem Fluchtversuch genutzt, vielleicht sogar aus genau diesem Garten, und dafür hatte er dieses letzte bisschen Freiheit eingebüßt.
Jason nahm sich vor, dieser Theorie gemeinsam mit der Frau nachzugehen, die gerade über die Pfade des Wildgartens schritt. In diesem Moment hob sie den Blick, und obwohl er in Schatten gehüllt war, schlich sich unter dem Eisgrün ihrer Tunika eine leichte Anspannung zwischen ihre Schulterblätter.
Der Saum des Gewands endete zweieinhalb Zentimeter über dem Knie, und an beiden Seiten reichten Schlitze bis zur Mitte der Oberschenkel hinauf, die ihr Bewegungsfreiheit verliehen und trotzdem sittsam waren, da die Tunika über einer keilförmigen Hose aus feiner Baumwolle getragen wurde, die sich an Mahiyas Beine schmiegte. Das Dunkelblau der Hose wiederholte sich in den breiten blauen Rändern der ellbogenlangen Ärmel sowie im unteren Rand der Tunika.
Solche Garderobe hatte Jason in diesem Land schon oft gesehen, auch wenn die Stile variierten – die Hosen saßen mal lose und mal weit, die Tuniken waren hochgeschlossen oder tief ausgeschnitten, weiteten sich zu einem Rock aus oder lagen eng am Körper an; meistens wurden sie mit einem langen, hauchdünnen Tuch getragen. Diese Kleidung war unter Arbeitern und Dienern ebenso verbreitet wie unter Höflingen. Der Unterschied lag in den Stoffen, dem Schnitt und dem Grad der Verzierung. Es war nicht unüblich, eine Hofdame in einem solchen Modell zu sehen, das in Handarbeit mit winzigen Perlen besetzt worden war oder bei dem die Stickerei mit feinen Fäden aus reinem Silber oder Gold gefertigt worden war.
Mahiya trug leichte Seide, und die Tunika schien ihr auf den Leib geschneidert zu sein, doch wies sie weder Glitzerwerk noch Stickerei auf. Der schmale Halsausschnitt gab hin und wieder den Blick auf ihre Schulteransätze frei; ihre goldbraune Haut leuchtete im Licht der Morgensonne und rote Strähnen funkelten in ihrem Haar, das ihr in einem einfachen, lockeren Zopf auf den Rücken fiel.
Eine Rüstung, dachte Jason. Mahiya trug ihre feierliche Kleidung wie eine Rüstung, und jetzt hatte sie sie abgelegt. Er nutzte die Gelegenheit und erwartete sie auf der unteren Ebene, als sie in den Palast zurückkehrte.
»Haben Sie schon gefrühstückt?«, fragte er. Ein Sonnenstrahl ließ das Goldbraun ihrer Augen noch intensiver leuchten.
»Nein.« Sie zeigte keine Überraschung oder Verunsicherung über seine Anwesenheit, als hätte sie seine Absicht erkannt und die Zeit, seit er sie gesehen hatte, genutzt, um ihre emotionale Rüstung anzulegen, wenn nicht gar in Gestalt dieser Kleidung. »Man lässt einen Gast nicht alleine speisen … Mylord.«
Hübsche Worte, die nichts bedeuteten. »Mein Name ist
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