Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
über die Lippen gekommen war.
»Statt diesen Fluchtversuch zu unternehmen, hätte ich auf eine günstige Gelegenheit warten und die Tunnel benutzen sollen.«
»Tunnel?«
»Zur Bergfestung, dummes Mädchen!«
Eris hatte sich geweigert, noch irgendetwas zu diesem Thema zu sagen, aber sie hatte Vanhi dazu bringen können, die Existenz dieser Tunnel zu bestätigen. Allerdings hatte die Vampirin mit der mütterlichen Art nur von einem einzigen Eingang gewusst – im Inneren des Juwelenpalasts, einem Ort, der genauso gut auf dem Mond hätte liegen können.
Vor ihr umkreisten Neha und Jason die höher gelegene Festung, und Mahiya war überwältigt von Jasons Spannweite und der schlichten Effektivität seiner Flugtechnik, bei der keine einzige Bewegung überflüssig war. Von einem Mann wie ihm wollte sie am Himmel niemals verfolgt werden – ein Entkommen wäre unmöglich.
Sie legte einen Spurt ein und landete in einer flacheren Flugbahn als Jason und der Erzengel in Nehas privatem Innenhof in der Bergfestung. Dieser Ort ließ ihr selbst jetzt kalte Schweißperlen über den Rücken laufen. Aber nicht das war der Grund für ihren schnellen Abstieg: Es hätte ihr nicht zugestanden, höher zu fliegen als der Erzengel – diese Lektion hatte sie eines verhängnisvollen Tages, hundert Jahre nach ihrer Geburt, gelernt, als sie offiziell die Grenze zum Erwachsensein überschritten hatte und nicht mehr dadurch geschützt war, dass Neha keinem Kind etwas zuleide tun würde.
Es war eine grausame Lektion gewesen. Der Oberste der Wache war angewiesen worden, ihr die Haut vom Rücken abzuziehen. Damals hatte Mahiya längst gewusst, dass ihr Leben von Nehas Duldung abhing. Sie hatte es von einem Kindermädchen erfahren, das der Ansicht war, sie sollte ihren Platz in der Ordnung der Dinge kennen. Das Geschenk des Wissens war gut gemeint gewesen, aber hart.
»Vergiss nie: Nichts, was du tust, kann ihr jemals gefallen. Für sie bist du kein schutzbedürftiges Kind, sondern eine ständige Erinnerung an einen Betrug, der einen Erzengel erniedrigt hat. Konzentriere dich darauf zu überleben.«
Als sie dann am Pfahl für die Auspeitschungen hing und ihr das Blut den Rücken hinunterlief, begriff sie noch etwas anderes: dass Neha sie innerlich zerstören wollte, um sie zu einer lebenden Warnung für den Preis der Untreue zu machen. Genügend Leute kannten das unausgesprochene Geheimnis um Mahiyas Erbe, diese Warnung würde also verstanden werden.
Ich werde überleben, und ich werde unversehrt überleben.
Das hatte sie sich geschworen, als die Peitsche wieder und immer wieder auf sie herabgefahren war. Und sie hatte den Schwur gehalten, hatte nicht zugelassen, dass Neha sie zu einem Zerrspiegel ihres eigenen Hasses machte. Neha glauben zu machen, sie habe Mahiya erfolgreich eingeschüchtert, war ein strategischer Zug auf dem Schachbrett, der sie nichts als ihren Stolz kostete … und im Kampf um ihr nacktes Überleben wäre Stolz ohnehin nutzlos gewesen.
Jason landete nach Neha, doch das war zu erwarten gewesen – in diesem Moment fungierte er offenbar als ihr Bewacher. Er ignorierte Mahiyas Gegenwart, keinen einzigen Blick hatte er für sie übrig.
Etwas Fauliges brodelte in ihrem Magen, und sie wusste, dass sie ein allererbärmlicher Dummkopf war. Was hatte sie erwartet? Dass er sie weiterhin mit diesem unerklärlichen, charmanten Respekt behandeln würde, nachdem offenkundig geworden war, wie wenig Neha sich aus ihr machte?
»Jason.« Neha neigte majestätisch den Kopf als Zeichen des Dankes. Dann betrat sie den Palast, den sie hier bewohnte, um ihre Nachtwache neben Eris’ leblosem Körper anzutreten.
Mahiya schluckte ihren Ärger hinunter, der alles zerstören konnte. Dann sagte sie: »Möchtest du zur Erzengelfestung zurückkehren?«
Ein Nicken, und in schwindelerregendem Tempo schwang er sich wieder in die Luft.
Das Herz hüpfte ihr in die Kehle. Er war schneller als Neha! Ihr eigener Aufstieg fühlte sich im Vergleich dazu kindlich und mühevoll an, aber sie kam in die Luft und flog durch den kristallblauen Himmel zur Festung zurück. Jason flog derweil so hoch hinaus, dass er nicht einmal mehr als Punkt in der Ferne zu erkennen war. Erst in letzter Minute tauchte er wieder auf, schoss wie ein Pfeil in die Tiefe und landete sauber vor ihrem – gemeinsamen – Palast. Das Areal wirkte verlassen, denn die Wachen hatten ihr Lager abgebrochen, nachdem sie Eris’ Leiche fortgebracht hatten.
Jason legte die Flügel
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